Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 17: Ersatzmittel für Bindefaden und Lebensmittel

[40-43] [S. 40]
Ersatzmittel.

Durch den Krieg sind uns viele Lebensmittel und Auslandprodukte entzogen. Diese müssen durch andere Ersatzmittel ersetzt werden. Den vielen Hanf, den wir aus Rußland bezogen hatten, bekommen wir nicht mehr. Da wir aber unbedingt Bindfaden haben müssen, so mußten wir zu einem Ersatz greifen. Die Seilereien entschlossen sich nun, Papier zur Verwendung von Bindfaden zu benutzen, dieser Papier Bindfaden hält sehr gut, bloß er darf nicht naß werden, denn sonst löst er sich auf. [S. 41] Deutschland ist bekanntlich das erste Zuckerland der Welt. Wir haben im Jahre 1911 1808338 t Verbrauchszucker hergestellt. Also über die Hälfte des ganzen Zuckerverbrauchs Europas. Durch den Krieg sind wir aber völlig auf uns angewiesen. Da unsere Feinde zu uns nicht liefern, so sind wir eben auch nicht verpflichtet, ihnen zu liefern, deshalb haben wir im vorigen Jahr nicht mehr soviel Rüben angebaut. Bei der zweiten Kriegssaat, haben wir noch weniger Rübenzucker angebaut. Da es jetzt zu sehr an Zucker mangelt, sah sich der Staat gezwungen, nach einem Ersatzmittel zu greifen. Man nahm das nur in Apoteken früher erhältiliche Sacharin. Dieses unterscheidet sich von dem Zucker dadurch, daß es keinen Nährwert hat, und daß es 450 mal so süß ist, als Zucker. Man braucht also nur ein klein wenig von diesem Sacharin, um eine Tasse Kaffee zu süßen. 1 ¼ Gramm Zacharin, entspricht der Menge Zucker von 550 Gramm. Aus diesen Zahlen kann man die Süßigkeit dieses Kristall Süßstoffes sehen, und er erfüllt denselben Zweck, wie der uns schon lang bekannte Zucker. In der Not aber geht alles. Ein anderes Produkt, welches auch durch den Krieg durch ein anderes er [S.42] Ersatzmittel ersetzt werden muß, ist der Kaffee. Den meisten Kaffee bezogen wir aus Brasilien. Auch aus unseren Kolonien wurde mit jedem Jahr bedrückender. Dadurch, daß wir vom Weltmarkte abgeschnitten sind, können wir nur noch soviel verbrauchen, wie wir auf Lager haben. Sobald dieser Vorrat zu Ende geht, müssen wir uns an gebrannte Gerste halten; welches schon unsern Vorväter taten. Je länger der Krieg anhält, desto weniger Kaffee wird es geben. In den Städten ist es so eingerichtet, daß man bei einem Pfund Bohnenkaffee 1 Pfund Malzkaffee nehmen muß. So werden die Frauen gezwungen, nicht mehr reinen Bohnenkaffee zu trinken. Den meisten Leuten ist auch der Bohnenkaffee zu teuer. Durch den Krieg sind aber auch sehr die Butter und das Fett oder sonstiger Brotaufstrich sehr in die Höhe gegangen, sodaß die Hausfrau oft nicht weiß, womit sie das Brot beschmieren soll. Da hat man ein Honigersatzmittel erfunden. Dieses ist ein Pulver und muß mit Zucker gekocht werden. Dieses gibt dann ein wohlschmeckender Brotaufstrich.
In Friedenszeiten bekommen wir viel Eier aus Holland und Galizien1. Aber durch den Krieg hat sich Holland geweigert, weiter Eier [S. 43] an Deutschland zu liefern. Da wir aber viel Eier für unsere Lazarette brauchten, so entstand hier ein gewisser Mangel. Die Hühner der Bauern legten auch nicht mehr soviel, denn sie bekommen kein Getreide mehr. So machte sich der Eiermangel immer mehr bemerkbar. Die Eier stiegen auch ungeheuer im Preise. Sodaß im Monat August 1916 ein Ei 0,30 M kostete. Da erfand man auch hier ein Ersatzmittel, nämlich das sogenannte Eierpulver. Mittels diesem kann man Eikuchen backen und zu Kuchenzweck benutzen.
den Tee bekommen wir meistens aus China. Aber bei Kriegsausbruch waren sämtliche Handelsverbindungen mit China unterbunden. Da nahm man als Ersatz für Tee Lindenblüten, die man trocknete. Dieser gibt einen sehr guten Tee und ist ein guter Ersatz für den chinesischen Tee.


  1. Landschaft in der Westukraine und Südpolen.

Faksimile: Vorschau Vorschau
Personen: Wiedemann, Klaus
Orte: Russland · Deutschland · Galizien · Holland · China
Sachbegriffe: Ersatzmittel · Lebensmittel · Auslandsprodukte · Hanf · Bindefäden · Papiere · Kriege · Feinde · Rübenzucker · Kriegssaat · Apotheken · Sacharin · Weltmärkte · Süßmittel · Süßigkeiten · Kolonien · Kaffee · Malzkaffee · Bohnenkaffee · Frauen · Fette · Mängel · Bauern · Lazarette · Getreide · Tee · Lindenblüten · Eier · Zuckerland · Verbrauchszucker
Empfohlene Zitierweise: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 19: Ersatzmittel für Bindefaden und Lebensmittel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/13-17> (aufgerufen am 20.04.2024)