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Georg-Büchner-Preis an Erich Kästner, 19. Oktober 1957

Der Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wird anlässlich der auf der Darmstädter Mathildenhöhe stattfindenden Herbsttagung von Hermann Kasack (1896–1966), dem Präsidenten der Akademie, an Erich Kästner (1899–1974) verliehen. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen zeitgenössischen Literatur wird damit in diesem Jahr ausgezeichnet. Erich Kästner, Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor, Satiriker, Kabarrettdichter und nicht zuletzt berühmter Kinderbuchautor war einer der prominentesten intellektuellen Gegner des Nationalsozialismus. Mit den Jugendromanen „Emil und die Detektive“, „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Das doppelte Lottchen“, um nur die bekanntesten zu nennen, avancierte Erich Kästner zu einem der bekanntesten deutschen Kinderbuchautoren; während des Nationalsozialismus befanden sich seine Bücher auf der Liste der als „undeutsch“ gekennzeichneten Bücher, wurden verbrannt und verboten.

Für sein Werk verleiht die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung an Erich Kästner, „den strengen Geißler der Zeit, den scharfblickenden Moralisten, den Dichter, dessen anmutige und menschlich-gütige Erzählungskunst die Jugend vieler Völker entzückt“, wie die Urkunde besagt, den Büchner-Preis und ein Preisgeld in Höhe von 5.000 DM.1 Das Preisgeld möchte Kästner nicht selbst annehmen, sondern an fünf Kollegen als Fördergeld weitergeben.2 Vizepräsident Kasimir Edschmid (1890–1966)3 äußert sich in seiner Laudatio zur bedeutenden Rolle Erich Kästners als Oppositioneller während der NS-Diktatur: „Nun, die Zeit hat sich beeilt, lieber Kästner, Sie zu den Propheten emporzuheben. Schon 1933 und dann, nachdem der Doktor Goebbels mit öligem Pathos die Wehrpflicht verkündet hatte, saßen die jungen Leute, also die Achtzehnjährigen, da und lasen auf ihren Studentenzimmern und in den Kasernen heimlich Ihre Verse. Sie lasen sie, nicht, weil sie das verhöhnten, was nun die Nazis wieder auf die Postamente der Kriegerdenkmäler und der Sittlichkeitsparagraphen hoben, sondern weil die jungen Leute in Ihnen den kompromißlosen Kopf, den Kämpfer gegen Zwang und Ungeist sahen. Weil Sie, lieber Kästner, den Jünglingen, die bei der Lektüre Ihrer Bücher stündlich befürchten mußten, denunziert zu werden, tatsächlich ein Trostbringer und intellektueller Hilfsprediger waren ... so peinlich Ihnen eine solche sentimentalische Feststellung auch sein mag. Es war nun einmal so.4 Kästner selbst schließt seine Dankesrede mit einer direkten Bezugnahme seines persönlichen geistigen Erbes aus dem Werk des Namensgebers des Preises, Georg Büchner: „Der dominierende Einfluß Büchners, besonders der ersten Hälfte seines ‚Woyzeck‘, auf den expressionistischen Stil kann gar nicht überschätzt werden. Wieder waren Stück und Autor jung, modern, rebellisch und genial wie am ersten Tage, und wieder huldigte ihm eine neue Generation der Talente. So ist es bis heute geblieben, und so wird es noch lange bleiben. In diesem Zusammenhange wird man es mir nicht als Vermessenheit auslegen, wenn auch ich mich, mit meiner Komödie ‚Die Schule der Diktatoren‘, als Schüler und Schuldner Büchners bekenne.5

Der Georg-Büchner-Preis wurde 1923 durch die hessische Regierung ins Leben gerufen, um herausragende kulturelle Persönlichkeiten aus Hessen zu würdigen. 1951 wurde er von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu einem reinen Literaturpreis umfunktioniert und wird seitdem jährlich als Abschlussakt der Herbsttagung verliehen.
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.1957, S. 12: „Noch ist nicht aller Satire Abend“.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.1957, S. 12: „Noch ist nicht aller Satire Abend“.
  3. Kasimir Edschmid ist das Pseudonym des Schriftstellers Eduard Schmid.
  4. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Erich Kästner: Laudatio.
  5. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Erich Kästner: Dankrede.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Georg-Büchner-Preis an Erich Kästner, 19. Oktober 1957“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5524> (Stand: 19.10.2022)
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