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Hessischer Landtag diskutiert über Frauen im Richteramt, 13. Juli 1921

Am 13. Juli 1921 findet im Landtag des Volksstaates Hessen in Darmstadt eine Generaldebatte zum Haushaltskapitel „Ministerium der Justiz“ statt, in dessen Rahmen unter anderem über die Abschaffung der Todesstrafe, „Klassenjustiz“, Begnadigungen und die Zulassung von Frauen zum Richteramt diskutiert wird. Karoline Balser (1873–1928; DDP) stellt in ihrem Redebeitrag die Forderung, Frauen im Richteramt und in der Anwaltspraxis zuzulassen. Sie ist sich bewusst, dass sie mit diesem Anliegen auf Widerstand treffen wird1 und führt unter anderem aus: „Die Klagen und Forderungen der Frau zu dem Kapitel Rechtspflege sind alt. Sie sind immer dieselben und sind uns allen im Hause bekannt. Die Art und Weise aber, wie unsere Wünsche und Forderungen immer wieder behandelt werden [...] geben mir Veranlassung, auch von dieser Stelle aus an das hessische Justizministerium und seine Vertretung das dringliche Ersuchen zu richten, die berechtigten Wünsche und Forderungen der Frau auch von dieser Stelle aus nachdrücklich zu unterstützen.“

Viele der Abgeordneten sprechen sich gegen Karoline Balsers Forderung aus, wie beispielsweise auch Wilhelm II Dorsch (1868–1939; DNVP) und Otto Rudolf von Brentano di Tremezzo (1855–1927; Z):

Der Abgeordnete Dorsch bezieht sich in seiner Ansprache auch auf Frau Balsers Standpunkt zur Öffnung des Richteramtes für Frauen. Er sieht Frauen als ungeeignet für diesen Berufszweig an und begründet dies mit ihrer Natur. Er will den „Unterschied zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht“ nicht vollständig verwischen und fordert von den Frauen, denen in der letzten Zeit so viele Bereiche erschlossen wurden, „eine gewisse Zurückhaltung […] in den Fällen, in denen wirklich der Mann wegen seiner verstandesmäßigen Richtung den Ausschlag zu geben hat.“ Er betont, den Frauen mit seinen Aussagen keinen Vorwurf machen zu wollen, dass er sich aber keine Frau im Richteramt vorstellen könne und wenn, dass es sich dann um keine normale Frau handele.2

Justizminister Dr. von Brentano di Tremezzo spricht sich ebenfalls gegen die Zulassung von Frauen zum Richteramt aus und bezeichnet „die Zuziehung der Frau zu dem Richteramte“ als „ein sehr heikles Ding“. Er befindet Frauen für ungeeignet und möchte diese zudem vor dem Beruf schützen: „Meine Damen und Herren, sie wissen nicht was das für garstige Sachen sind […] und wenn ich mir denke, daß das eine Frau – was ich mir unter einer Frau vorstelle – anhören soll, ohne daß sie errötet, dann weiß ich nicht, ob dies zu billigen ist.“3 Weiter lobt er die Frauenbewegung und befindet es für gut, dass Frauen in vielen, für sie passenden Bereichen, mehr Gleichberechtigung erlangen, aber ermahnt die Bewegung zugleich nicht aus den Augen zu verlieren welche Bereiche für eine „rechte Frau“ unpassend sind: „Ich glaube, daß sie dann mit Recht ihre Forderungen aufrecht erhalten können, aber nicht in solchen, wo die Frau unter die Räder kommt und nur ein Mannweib sich hernach wieder erheben könnte.“4

Zwei weibliche Abgeordnete – Else Bierau (1877–1966; DVP) und Elisabeth Hattemer (1870–1948; Z) – äußern sich zu Balsers Forderungen:

Bierau, welche eigentlich nicht zu diesem Thema sprechen wollte, betont, dass sie viele von Frau Balsers Forderungen unterstütze, aber schließt sich in ihrer kurzen Ansprache auch ihren kritischen Vorrednern an: „Das Betätigungsfeld der Frauen ist durch die staatsbürgerliche Gleichberechtigung ein so außerordentlich großes geworden, daß auch ich glaube, daß wenn wir als Frauen unsere ganze Kraft und Hingabe zunächst den Gebieten und den Berufen zuwenden, die der weiblichen Eigenart am meisten liegen, wir sowohl der Frauensache als auch dem Volkswohl am besten dienen können.“5

Elisabeth Hattemer unterstützt die Ausführungen der Abgeordneten Bierau: „Wir wünschen auch nicht, daß durch die Gleichberechtigung der Frau nun eine Gleichmacherei zwischen Mann und Frau eintritt. Wir wünschen im Gegenteil, daß die Betonung der weiblichen Eigenart im öffentlichen Leben und die Mitarbeit der Frau als Frau im öffentlichen Leben dem Volksganzen zum Segen gereicht.“ Die anderen Forderungen von Balser möchte sie „hinsichtlich der Rechte der Frau in Bezug auf die ‚doppelte Moral‘ und hinsichtlich der vermögensrechtlichen Verhältnisse warm unterstützen.“ Des Weiteren fordert Hattemer die Zuziehung von Frauen bei der Neuordnung der Sittenpolizei.

In einem weiteren Redebeitrag geht Balser auf die geäußerten Zweifel ein: „Bedenken […], die wir so oft schon gehört haben, wenn Frauen für die Frauen einen neuen Weg suchen mußten, daß sie zu schade sei, daß die Frau zu gut zu dem und jenem, zu dem sie sich aber doch heute in vielen Fällen als recht geeignet erwiesen hat. Trotz aller Bedenken, die geäußert werden können, muß ich an den Forderungen, die ich heute gestellt habe, festhalten. Auch ich bin weit entfernt, zu glauben, daß die Forderungen in allzu bedenklicher Nähe in Erfüllung gehen werden, ich bin aber ebenso fest überzeugt, daß der Tag kommen wird – ob ihn jemand von uns erleben wird oder nicht- der die Erfüllung sieht.“6
(LG)


  1. Abg. Balser: Wenn wir weitere Forderungen gestellt haben, so bin ich mir wohl bewußt, daß wir auf Seiten der Männer manche Gegner unserer Forderungen haben, die nicht objektiv sind, sondern unsere Forderungen bekämpfen rein aus den Gesichtspunkten der Konkurrenz. Es ist das vor allen Dingen die Forderung der Frauen auf Zulassung zum Richteramt, auf Zulassung zur Anwaltspraxis.
  2. Abg. Dorsch: „Aber abgesehen davon gibt es doch eine ganze Reihe von Dingen, die lediglich der Männerwelt, ich will auch sagen der Männereinsicht, dem Männerverstand überlassen ist, während der Frauenverstand, die Fraueneinsicht manchmal andere Wege geht, als diejenigen der Männer sind. Und man muß auch sagen, daß ja hier eine Scheidung dahin stattfinden kann, dass bei dem Manne der Verstand und die Vernunft das Vorherrschende ist – ohne selbstverständlich den Frauen damit einen Vorwurf zu machen – und auf der anderen Seite bei den Frauen mehr das Gemütliche, die Art des Gemüts das Ausschlaggebende ist. […] ist es aber auch für die Stellung der Frau und für die Frau vor sich selbst angenehm, in richterlicher Tätigkeit mitzuwirken? […] es muß sich doch das menschliche und das weibliche Gefühl bei den Frauen manchmal sträuben, in Gegenwart der Männer derartige Dinge mitzumachen, mitanzuhören und über sie zu urteilen. […] Da kann man sich ja selbstverständlich auch solche Frauen vorstellen, denen das vollständig gleichgültig ist. Das sind aber doch nicht die normalen Frauen, sondern bei den normalen Frauen setze ich doch insbesondere das Schamgefühl voraus, das häßliche, widrige und gemeine Dinge, wie sie ja in den Prozessen leider des öfteren vorkommen, nicht nun vor ihren Augen entrollen zu sehen und auch in den Tiefen der Gemeinheiten nicht noch eindringen zu müssen. Das ist so bedauerlich das ist nun einmal Männerarbeit und ist keine Frauenarbeit.“ (Verhandlungen der Volkskammer der Republik Hessen im Jahre 1921. Erster Landtag. Protokolle, Darmstadt 1921, S. 2702f.)
  3. Balser kommentiert diese Aussage mit folgenden Worten: „Ich glaube aber nicht, wie der Herr Minister, daß es die Schamröte sein wird, die uns diese Verhandlungen ins Gesicht treibt. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß denjenigen Frauen, die heute schon in der Öffentlichkeit stehen mit dem guten Willen, sich einzusetzen zum Besten des Volkes und ihrer Schwestern, nichts Menschliches mehr fremd ist, und daß es, was sie empfinden, nicht Scham ist, wohl aber Schmerz und Erbarmen über diese Zustände, das Wollen und Hoffen zur Besserung ist es was uns treibt.“
  4. Verhandlungen der Volkskammer der Republik Hessen im Jahre 1921. Erster Landtag. Protokolle, Darmstadt 1921, S. 2708f.
  5. Verhandlungen der Volkskammer der Republik Hessen im Jahre 1921. Erster Landtag. Protokolle, Darmstadt 1921, S. 2715.
  6. Verhandlungen der Volkskammer der Republik Hessen im Jahre 1921. Erster Landtag. Protokolle, Darmstadt 1921, S. 2717.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Hessischer Landtag diskutiert über Frauen im Richteramt, 13. Juli 1921“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/543> (Stand: 26.11.2022)
Ereignisse im Juni 1921 | Juli 1921 | August 1921
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