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Der deutsch-österreichische Chemiker Richard Kuhn erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt, 28. August 1942

Der in Wien geborene Chemiker und Nobelpreisträger Richard Johann Kuhn (1900–1967) erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main.

Nach Carl Bosch (1939) ist Kuhn bereits der zweite mit dem Goethepreis ausgezeichnete Chemiker – allerdings der erste, der die Auszeichnung hauptsächlich für seine Forschungen auf dem Gebiet der Chemie erhält (Bosch war der Preis vor allem für seine Leistungen als Wirtschaftsführer zuerkannt worden)1. Seine Dankesrede, die Eingang in den Goethe-Kalender für das Jahr 1943 findet, gibt aufschlussreichen Einblick in sein Selbstverständnis als Naturwissenschaftler:

…der Naturforscher strebt ursprünglich nicht danach, Kunstwerke zu schaffen. Sein Ziel ist vielmehr, das große Kunstwerk der Natur, das fertig vor ihm steht, zu enträtseln.“ Und weiter: „Allmählich erst, wenn sich dem Naturforscher die Gesetzmäßigkeiten des Belebten und Unbelebten offenbaren, kommt auch er dazu, – und dies gilt insbesondere für den synthetisch arbeitenden Chemiker – seiner Eingebung folgend, über das hinauszugehen, was er in der Natur findet. Damit wird auch er in gewissem Sinn zum Künstler, der sich innerhalb der durch die Naturgesetze gezogenen Grenzen frei entfalten und betätigen kann.“2

Während des Studiums von Wien an die Universität München gewechselt, und zwischen 1926 und 1928 als Universitätsprofessor an der ETH Zürich tätig, wird Kuhn 1929 Abteilungsleiter am Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für medizinische Forschung in Heidelberg. Dort übernimmt er 1934 (als Leiter des Gesamtinstituts für medizinische Forschung) kommissarisch die Geschäftsführung und wird 1937/38 zum Direktor des Instituts ernannt. Das KWI für medizinische Forschung beginnt 1938 mit der Kampfstoff-Forschung.

Der 1938 auch zum „Führer“ der Deutschen Chemischen Gesellschaft und 1940 zum Fachspartenleiter für Organische Chemie der Deutschen Forschungsgemeinschaft ernannte Wissenschaftler ist zu Beginn der 1940er Jahre maßgeblich am Fortgang der deutschen Nervengasforschung beteiligt. 1944 gelingt ihm zusammen mit seinem Mitarbeiter Konrad Henkel (1915–1999) die Synthese des äußerst giftigen und persistenten Nervengifts Soman, das als chemischer Kampfstoff bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs allerdings nur in geringen Mengen für Testzwecke produziert wird. Kuhn, dem vor Kriegsausbruch staatliche Stellen eine undurchsichtige Haltung gegenüber der Ideologie des NS-Regimes attestieren, ist während des Krieges über grausame medizinische Versuche an Menschen informiert und beteiligt sich am 27. Januar 1944 an einer Tagung im Rüstungsministerium, auf der die Ernährung von KZ-Häftlingen mit Mycel, einem Zelluloseabfallprodukt, diskutiert wird.3

Richard Kuhn wurde für seine Arbeiten über Vitamine und Karotinoide (ihm gelang 1936 die erste teilweise Synthese des für die menschliche Ernährung wichtigen Vitamins B2) im November 1939 der von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften vergebene Nobelpreis für Chemie des Jahres 1938 zuerkannt, den er aber aufgrund eines im Januar 1937 von Hitler verhängten Verbots für „Reichsdeutsche“, den Nobelpreis zu empfangen, erst 1948 entgegennehmen kann.
(KU)


  1. Vgl. Hanna Leitgeb, Der ausgezeichnete Autor, S. 148 f.
  2. Zitiert nach Austria-Forum – Das österreichische Wissensnetz: Wissenssammlungen: Biographien: Kuhn, Richard Johann (Stand: 14.9.2012).
  3. 1943/44 werden in den Konzentrationslagern Mauthausen, Dachau und Buchenwald Versuche mit einer Mycel-Biosyn-Wurst auf der Grundlage von Sulfit-Ablaugen aus der Zellstoff-Industrie durchgeführt. Die Verpflegung von Häftlingen mit dem aus Industrieabfällen hergestellten Einzellereiweiß-Produkt, das zur Truppenversorgung vorgesehen ist, und für dessen kommerzielle Verwertung die SS gemeinsam mit der Firma Dr. Oetker eine eigene Forschungsgesellschaft gründet, fordert zahlreiche Todesopfer. Vgl. gtg – Gesellschaft für Technikgeschichte e.V.: Biotechnologische Surrogate, heißer und kalter Krieg: Einzeller-Eiweiß und Protein-Lücken im „Dritten Reich“ und in der DDR/ von Uwe Fraunholz (Stand: 14.9.2012).
Belege
Hebis-Schlagwort
Chemische Waffe ; Forschung ; Geschichte 1933-1945
Empfohlene Zitierweise
„Der deutsch-österreichische Chemiker Richard Kuhn erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt, 28. August 1942“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4846> (Stand: 29.7.2021)
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