Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 26: Weihnachtsfeier im Lazarett, Russische Kriegsgefangene

◀ [Nr. 26] Feldbrief vom 1. Januar 1916

Am 22. Dezember fand in dem hiesigen Lazarett für die kranken und verwundeten Krieger eine Weihnachtsfeier mit sorgfältig gewähltem Programm statt. In dem Speisesaal des Arbeitshauses war ein gewaltiger Christbaum aufgestellt, der durch seinen herrlichen Schmuck und Lichterglanz gleich von Anfang an die gewünschte Stimmung schuf. Die vorgetragenen Musikstücke, Deklamationen, Einzellieder und Männer-Chöre boten reiche Abwechselung. In den Rahmen der Feier fügte sich sehr schön ein die herzliche Ansprache, die Herr Sanitätsrat Dr. Schmitt an die Soldaten und die geladenen Gäste richtete. Mit Anerkennung und Dank wurden besonders auch die beiden Chöre ausgenommen, welche die Verwundeten unter Leitung des Herrn Lehrer Keller exakt vortrugen. Jeder Krieger erhielt ein kleines Geschenk: eine Brieftasche, Portemonai, Notizbuch oder dgl., dazu noch etwas Backwerk usw. Am Schlusse dankte einer der Verwundeten im Namen der übrigen für die Weihnachtsgaben, sowie für die liebevolle Pflege, die ihnen im Dieburger Lazarett zu teil wurde. Während der Feiertage erhielten alle Urlaub, nur die bettlägerig kranken blieben.

Am ersten Weihnachtstage haben die kriegsgefangenen Russen, die hier untergebracht sind, das Hochamt in der Pfarrkirche besucht. Sie fanden Platz auf der Emporbühne der beiden Seitenschiffe. Nach Beendigung des Gottesdienstes gingen sie vor die Krippe, wo sie einige Lieder in ihrer Sprache sangen. Während des Gesanges machten manche wohl ein Dutzend Mal das Kreuzzeichen. Beim Verlassen der Kirche küßten einige andächtig den Boden. —

Am letzten Dienstag vormittags ½ 10 Uhr fühlten sich die Dieburger plötzlich mitten in den Krieg versetzt. Von Süden her hörte man eine gewaltige Kanonade. Die 61er Feldartillerie hatte zwischen Roßdorf, Groß Zimmern, Groß-Umstadt, Habitzheim, Zeilhard Scharfschießen. Die Straßen und das Gelände zwischen diesen Ortschaften waren durch Posten gesperrt, so daß nichts passieren konnte. Um 12 Uhr war der unblutige Krieg zu Ende.

In dem verflossenen Jahre fanden hier 100 Taufen statt. Von den Getauften waren 64 Knaben und 36 Mädchen. Auffällig ist das starke Ueberwiegen des männlichen Geschlechtes. In manchen Zeitungen wurde schon darauf aufmerksam gemacht, daß in und nach dem Kriege eine auffällige Vermehrung der männlichen Geburten stattfände, um das Mißverhältnis unter den Geschlechtern auszugleichen, das durch den Tod der Gefallenen entstand. Hier haben wir bereits eine Probe aufs Exempel.

Katholische Trauungen wurden hier nur 15 vorgenommen. Davon waren 10 Kriegstrauungen d. h. solche, bei denen der Bräutigam schon der militärischen Jurisdiktion unterworfen war. Wie die geringe Anzahl von Trauungen zu erklären ist, brauche ich wohl nicht auseinanderzusetzen. Im vorigen Jahre waren es 31.

Sterbefälle kamen 60 vor, darunter 21 Kinder. Die im Feindesland gefallenen Krieger sind in der Gesamtzahl nicht miteingerechnet.

Das eiserne Kreuz erhielt Bootmannsmaat Franz Rupert Franz, die hessische Tapferkeitsmedaille empfingen Landsturmmann Franz Wolfenstädter, Pionier Josef Weber und Landwehrmann Johann Thomas Spieß. ▶