Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 23: Bevorstehende Weihnachten, Russische Kriegsgefangene

[Nr. 23] Feldbrief vom 12. Dezember 1915

Am Feste des Hl. Nikolaus hat unser Stadtvorstand der Bürgerschaft etwas Hübsches beschert. Vom 6. Dezember an werden die städtischen Veröffentlichungen nicht mehr durch die Ortsschelle bekannt gemacht, sondern alle Bekanntmachungen erfolgen durch die beiden hier erscheinenden Zeitungen. Es soll dadurch den Forderungen der Neuzeit Rechnung getragen und Dieburg anderen Städten gleichgestellt werden. Damit verschwindet ein Gebrauch, der hier seit Jahrhunderten bestand und von vielen, besonders von denen, vor deren Haus ausgeschellt wurde, angenehm empfunden wurde. Andere, die nichts hörten, haben weidlich darüber geschimpft. Die Neuerung wird sich hoffentlich bald hier einleben. Der Unterschied gegen früher ist auch nicht sehr groß. Seither hieß es: „Die Ohren aufmachen;" in Zukunft heißt es: „Die Augen aufmachen", um alle Verordnungen einer hochweisen Obrigkeit richtig zu verstehen. Das ist also unsere Nikolausbescherung.

Da ich gerade von Bescherung rede, will ich Euch noch etwas anderes verraten. Man soll zwar den Kindern vor Weihnachten nicht sagen, was ihnen das Christkindchen beschert; aber Ihr seid doch keine Kinder mehr, und ich will Euch auch gar nicht sagen, was jeder erhalten soll. Aber das darf ich Euch wohl mitteilen, daß unsere Stadtväter beschlossen haben, jedem unserer Krieger eine kleine Weihnachtsfreude zu bereiten. Und unsere Fräulein Lehrerinnen sind schon seit zwei Wochen damit beschäftigt, die Päckchen zurecht zu machen und an ihre Adresse zu befördern. Hoffentlich passiert nichts dabei wie voriges Jahr, wo Fräulein Kaiser sich bei diesem Liebesdienst eine Blutvergiftung zuzog, die leicht ernste Folgen hätte haben können.

Und jetzt von noch einer Bescherung! Am letzten Montag kamen hier 30 Russen an, die mit Waldarbeiten beschäftigt werden. Bei der Ankunft am Bahnhof war, wie das in Dieburg nicht anders zu erwarten ist, die liebe Jugend zahlreich versammelt, um die Kriegsgefangenen in ihr Quartier zu begleiten. Sie wurden bei Adam Enders in der Ludwigshalle untergebracht. An anderen Orten Hessens haben sich die Russen als zuverlässige Arbeiter erwiesen. Wir erwarten hier dasselbe von ihnen.

Durch Verleihung der hessischen Tapferkeitsmedaille wurden ausgezeichnet Gefreiter Franz Wick und Gefreiter August Spieß. Dem Landwehrmann Heinrich Stemmler wurde die Ehre des eisernen Kreuzes zu teil.

Den Heldentod für das Vaterland starb Sebastian Hubert Blank. 223. II. R. i. p.


Personen: Ebersmann, Jakob · Kaiser, Fräulein · Enders, Adam · Wick, Franz · Spieß, August · Stemmler, Heinrich · Blank, Hubert
Orte: Dieburg
Sachbegriffe: Zeitungen · Weihnachten · Weihnachtspäckchen · Liebesgaben · Lehrerinnen · Russen · Kriegsgefangene · Bahnhöfe · Hessische Tapferkeitsmedaille · Gefallene · Gefreite · Landwehrmänner · Eisernes Kreuz
Empfohlene Zitierweise: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 15: Bevorstehende Weihnachten, Russische Kriegsgefangene“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/19-23> (aufgerufen am 20.04.2024)