Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg


Inhalt

  1. Die erste Weihnacht im Felde

Abbildungen

Detailansicht

Weihnachtsbescherung am 23.12. bei 11. Komp.

Detailansicht

↑ Fretzdorff, Heiligabend an der Westfront, 1914

Abschnitt 1: Die erste Weihnacht im Felde

[111-112]

Die erste Weihnacht im Felde.

Darüber berichtet Oberstlt. Fretzdorff vom Rgts. Gefechtsstand aus folgendes:

„Am Heiligen Abend regnete es mal nicht, und als es dunkel wurde, so gegen 5.00, gingen bei leichtem Frost zahllose Sterne strahlend auf. Die Franzosen waren anständig und schossen nicht. Da war es sehr feierlich, wie aus den verschiedenen Ecken und Seiten des Waldes her die Weihnachtslieder „Stille Nacht" und „O du fröhliche" erklangen. Die Pioniere hatten nicht weit von uns mitten im Walde eine große Tanne mit Lichtern besteckt und angezündet, was weithin durch die Bäume leuchtete. Dazu sangen sie sehr nett. Eine Viertelstunde etwa ließen sie den Baum brennen, dann mußte er doch gelöscht werden, damit die Franzosen nicht danach schossen. Dann gingen wir zu unseren drei in Reserve liegenden Landwehr-Kompanien. Diese wollten eben feiern, hatten ihre Bäumchen z. T. vor ihre Höhlen getragen, ihre Weihnachtspakete da und fingen gerade an zu singen. Da kam der Befehl, daß sie sofort nach Varennes1 , wo ein franz[ösischer] Angriff auf Boureuilles2 und Vauquois3 befürchtet wurde, abmarschieren sollten. Das gab traurige Augen und lange Gesichter. Statt zu feiern, mußten die armen Landwehrleute 2 Stunden auf unergründlichen Lehmwegen nach Varennes marschieren und dort in kalten Kellern kampieren. Ja, der Krieg ist hart und lieblos. — Nun gingen wir in unsere Hütte zurück, dort hatten wir ein kleines Bäumchen mit Lichtern und Lametta besteckt und den Burschen, Ordonnanzen und Telefonisten die Liebesgaben aufgebaut. Der Adjutant las das Weihnachtsevangelium und eine kurze Predigt; wir sangen einen Vers von „Stille Nacht" und dachten mit Wehmut und heißer Sehnsucht der Heimat und der Lieben und so vieler vergangener schöner Weihnachtsabende. Schwedischer Punsch (Liebesgabe) [S. 112] und Pfefferkuchen folgten dann. Der Donner der Geschütze schwieg natürlich auch am Heiligen Abend nicht und begleitete als merkwürdiger Orgelklang die verschiedenen Weihnachtslieder. Gegen Mitternacht machte ich noch einen einsamen Spaziergang im Walde unter Gottes großem Sternen-Tannenbaum, und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegten mich tief. Am 1. Feiertag ging ich vormittags vorn in die Schützengräben und begrüßte meine Landwehrleute, die dort dicht am Feinde lagen und sich mit ihm herumschossen.


  1. Varennes-en-Argonne, französischer Ort in den Ardennen.
  2. Etwa 3 km entfernt von Varennes-en-Argonne entfernt.
  3. Französischer Ort, ungefähr 4,5 km entfernt von Varennes-en-Argonne.

Personen: Fretzdorff, Oberstleutnant
Orte: Boureuilles · Varennes-en-Argonne · Vauquois
Sachbegriffe: Geschenke · Heimweh · Landwehr · Liebesgaben · Pioniere · Schützengräben · Weihnachten · Fotografien · Kriegsweihnachten · Franzosen · Weihnachtsfrieden · Weihnachtslieder · Weihnachtsgeschenke · Burschen · Ordonnanzen · Telefonisten · Standesunterschiede · Kanonendonner
Empfohlene Zitierweise: „Fretzdorff, Heiligabend an der Westfront, 1914, Abschnitt 1: Die erste Weihnacht im Felde“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/36-1> (aufgerufen am 24.04.2024)