Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Karl Veidt, Als Divisionspfarrer im Argonnerwald, 1914-1917

Abschnitt 10: Okkupation von Territorien und Ortsnamen

[134-136]
So wurde das Land „unser" Land.

Wir sind vertraut geworden mit den Tälern von Autry, Condé, Grandham und Baux, mit den eigenwilligen Windungen der Aisne und Aire und ihren malerischen Pappelgruppen; mit dem lieblichen Olizy, in dessen schönem Park und in dessen Waldesfrieden so mancher unter der Obhut unserer Ärzte körperlich und seelisch gesundete, und mit den Hängen und Höhen von Termes und Mouron. Wie manches liebe Mal haben wir hier oben gestanden, wo man das Land weithin überschaut, im Westen bis zu der kampfumwitterten Butte de Tahure, im Süden bis zu den Höhen von Valmy, im Osten bis zu den Ostargonnen und zum Felsennest Montfaucon. Von Südosten blitzte lange der Kirchturm von Binarville [S. 135] herüber, bis auch ihn der unerbittliche Krieg fällte. In unabsehbarer Ferne zog sich bei Freund und Feind an hellen Tagen die Reihe der Fesselballons. In den Artilleriestellungen sah man das Mündungsfeuer der Geschütze aufflammen; auf den Champagne- und Argonnenhöhen sprangen die Krater der platzenden Granaten hoch. Wenn es dunkel wurde, stiegen über den Stellungen die Sterne des Leuchtpistolenfeuers empor und erhellten die Wolkenflächen mit flackerndem oder stechendem Licht. Wir sind vertraut geworden auch mit den kahlen Hochflächen am Autryer Wald, bei Francs-Fossés und am einsamen Baum von Montcheutin. Denn diese Flächen bedeuteten für unsere Regimenter zu manchen Zeiten dasselbe, wie im Frieden die Übungsplätze.

Das Zugehörigkeitsgefühl, zu dem Mann und Land miteinander verwuchsen, kam in allerlei deutschen Ortsnamen, die an Stelle der französischen traten, zum Ausdruck. Da gab es Talheim, Bergdorf, Waldkreuz, Darmstadt, Taunus, Seeheim und Bretzelburg. Neue Niederlassungen erhielten Namen wie Rattenburg, Schwalbennest oder Wolfsschlucht. Nach bekannten Führerpersönlichkeiten waren benannt: der Steubenturm, das Schwerinslager, der Mühlenfelsweg, die Omptedabrücke, um nur einige von vielen zu nennen. Auch die Volksstämme, die in der Gegend gekämpft hatten, fand man in den Orts-, Stellungs- und Wegebezeichnungen wieder, in Namen wie Hessenschlucht, Nassauer Hof, Oldenburger Graben, Ostfriesen- und Hansagraben, Frankfurter und Wiesbadener Weg. Auf dem „Kanonenberg“ gibt es sogar zur Freude jedes Wiesbadeners eine „Langgaß“ und darin eine Kantine mit dem jedem in der Wiesbadener „Langgaß“ Kundigen wohlbekannten Namen „Mutter Engel“. Daß jedes Dorf eine Kaiser-, Kronprinzen- und Hindenburgstraße hatte, versteht sich von selbst. Aus originelle Weise wurden manche [S. 136] französische Namen eingedeutscht. So wurde aus Montcheutin, bei dem so mancher brave Landser in Gefahr war, sich die Zunge zu zerbrechen, das poetische „Mondscheintschön" und aus Grandham sehr prosaisch, aber sehr treffend „Schlammham" oder „Grandschlamm". Der Feldhumor äußerte sich in zahllosen Unterstandsbezeichnungen, wie „Villa Seelenfrieden“, „Zum mutigen Pionier“, „Zum fidelen Maulwurf“, „Bückeburg“, „Scharfe Ecke“.


Personen: Hindenburg, Paul von · Veidt, Karl
Orte: Argonnerwald · Autry · Baux · Bergdorf · Binarville · Bois de Ville · Bretzelburg · Butte de Tahure · Condé · Darmstadt · Francs-Fossés · Grandham · Hansagraben · Kanonenberg · Montcheutin · Montfaucon · Mouron · Nassauer Hof · Oldenburger Graben · Olizy · Ostfriesengraben · Rattenburg · Seeheim · Schwalbennest · Schwerinslager · Servon · Steubenturm · Talheim · Termes · Valmy · Waldkreuz · Wolfsschlucht
Sachbegriffe: Ärzte · Ziegelei · Erinnerungen · Fesselballon · Friede · Gefallene · Gefecht · Granaten · Hochflächen · Kameradschaft · Landschaft · Pappeln
Empfohlene Zitierweise: „Karl Veidt, Als Divisionspfarrer im Argonnerwald, 1914-1917, Abschnitt 12: Okkupation von Territorien und Ortsnamen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/35-10> (aufgerufen am 19.04.2024)