Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Berichte des Pfarrers in Wittelsberg und der Lehrer in Beltershausen und Moischt an den Landrat in Marburg, 1917

Abschnitt 3: Bericht des Lehers J. Nau in Moischt

[237-238] Moischt, den 30. November 1917

Seine Hochwohlgeboren den Königlichen Herrn Landrat des Kreises Marburg.

Euer Hochwohlgeboren erlaube ich mir über die vorhandene Stimmung der hiesigen Landbevölkerung folgendes zu berichten:

Es war bis jetzt jeder darauf bedacht, das Feld vollständig zu bestellen und die Erzeugnisse seiner Wirtschaft in Qualität und Quantität zu steigern. Man setzte alles daran, um die Ernte vollständig einzubringen und so für die Ernährung unseres Deutschen Volkes Sorge zu tragen.

Durch Geld- und Naturalgaben suchte man alle Wohltätigkeitseinrichtungen gern und freiwillig nach Kräften zu unterstützen. Aber in allen lebt der eine sehnsüchtige Wunsch "Friede", welches wohl hauptsächlich seine Ursache in der langen Dauer des Krieges hat. Ja, von vielen muß man leider die Äußerung hören: "Wir sind verloren, der Krieg macht uns arm!" Dazu ist die Bevölkerung aufgebracht durch die vielen Verordnungen. Sie werden deshalb von den meisten gar nicht mehr gelesen.

Eine ungeheuere Mißstimmung löst in letzter Zeit die geringe Versorgung der hiesigen Landbevölkerung mit Petroleum aus. So muß man öfters hören: "Wir verlumpen und verlappen ganz; denn am Tage hat man bei den geringen zuverlässigen Arbeitskräften vor anderer Arbeit keine Zeit, etwas zu flicken und auszubessern, und am Abend, wenn man es sonst tat, hat man kein Licht. In anderen Orten hat man elektrisches Licht und Petroleum. Auch die Orte im Kreise Kirchhain werden viel besser mit Petroleum versorgt. Das wenige Petroleum, das wir hier bekommen, reicht kaum aus, um beim Füttern morgens und abends in den Ställen Licht zu haben."

Besonders sehr verärgert sind die hiesigen Bewohner durch die neue Verordnung, welche bezügl. der Milchabgabe in Kraft treten soll. Daß hier sämtliche Milch an die Molkerei abgeliefert werden soll und die Selbstversorger ihre Butter von der Molkerei erhalten sollen. Ich mußte bei meiner Aufklärungsarbeit hier bezügl. dieser Sache bittere Enttäuschung erfahren. Denn trotz längerer Darlegung der ernsten Sachlage in der Ernährung unseres Heeres und Volkes mußte ich hören: "Dann schaffen wir die Milchkühe ab und treiben Jungviehwirtschaft!" Andere sagten mir: "Dann lassen wir gar nicht mehr melken, wer die Verordnungen erläßt, mag dann auch die Kühe melken lassen." Ja, einer der größten Besitzer sagte: "Dann lasse ich des Nachts die Kälber unter die Kühe laufen, die mögen dann die Milch saufen."

Von einem sonst sehr intelligenten größeren Bauern mußte ich bei einer fast einstündigen Unterredung am Schluß die Äußerung hören: "Was die Zeitung schreibt, glaube ich garnicht mehr, denn es ist doch so alles zugeschnitten, daß wir über vieles im Dunklen und Unklaren gehalten werden sollen."

Hoffentlich trägt ein baldiger Friede zur baldigen Umstimmung der Leute bei.

Gehorsamst gez. J. Nau, Lehr


Personen: Nau, J.
Orte: Moischt · Kirchhain
Sachbegriffe: Lehrer · Landräte · Stimmung, öffentliche · Bauern · Landwirtschaft · Wohltätigkeit · Friedenssehnsucht · Kriegsmüdigkeit · Petroleummangel · Elektrizität · Milchablieferungen · Viehhaltung · Molkereien · Zeitungen
Empfohlene Zitierweise: „Berichte des Pfarrers in Wittelsberg und der Lehrer in Beltershausen und Moischt an den Landrat in Marburg, 1917, Abschnitt 2: Bericht des Lehers J. Nau in Moischt“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/31-3> (aufgerufen am 19.04.2024)