Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach

Abschnitt 13: 18.11.1914: Feldpostbrief aus der Gegend von Comines

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10 km nördlich Comines1 , in einer Farm2, 18.11.1914

Liebe Schwester,

Dein Paket vom 9. 11. habe ich am 16. erhalten. Wurst, Zucker, das war eine feine Sendung, besten Dank. - Draußen ist echtes Novemberwetter: naß, kalt und die Wege ganz grundlos. Heute nacht hat es sogar gefroren. Ja, Du denkst, wie hält man es da draußen aus? Laß Dir’s erzählen. Heute nacht haben wir ein feines Lager. In der Ruhe der Schützengräben steht noch ein einzelnes Häuschen mit Stroh bedeckt. Auf dem Boden dieser Hütte liegen 30 Mann von uns, ich dabei. Der Boden ist mit Weizenkörnern, etwa 30 bis 40 cm, bedeckt. Darauf ist unser Lager. Ich steige die schmale Treppe hinauf zum Boden und will mir eine Ecke aussuchen, da kommt der Befehl: Langsam gehen, die Decke bricht sonst! Ich merkte bald, daß das Getreide äußerst kalt war und fand zufällig in der Ecke 4-5 alte Säcke. Famos! Ich breite sie aus, nehme meinen Tornister ab und lege mich darauf. Es ist jetzt 10-11 Uhr, nach Eurer Zeit 9-10. Aus meinem Tornister nehme ich meinen Stumpf Stearinkerze, stelle dieselbe auf die neben mir stehende Putzmühle und mache mein Lager zurecht. Durch das feine Licht entdecken wir noch einige gefüllte Säcke. Was ist darin? Tabakblätter, fein getrocknet, wie man sie überhaupt viel findet in Frankreich. Schnell hebe ich meine 5 Sack wieder hoch, leere einen Sack Tabakblätter, die allerdings etwas stark riechen. Auf das Getreide lege ich dann die 5 Säcke wieder darauf und stecke meine schmutzigen Stiefel in den leeren Tabaksack. Nun öffne ich meinen Tornister. Eine große breite dicke Decke, in die ich mich zwei- bis dreimal hineinwickeln kann, wird dann abgeschnallt. Aus dem Tornister hole ich eine wasserdichte Zeltbahn und eine ganz von Gummi gemachte englische (von totem Engländer). Der Tornister kommt unter den Kopf, Ohrenschützer über den Kopf gezogen, dann in die Decke gewickelt, die beiden Zeltbahnen darüber. Da steckt man so warm wie im Bett. Jetzt ist es 11 auf meiner Uhr. Das Lichtchen ist bald abgebrannt, aber wenn Du hier wärest in diesem engen Raum, könntest Du so 30 Soldaten eingewickelt sehen, geradeso wie ich es Dir beschrieben habe. Unter solch einem Dach sind wir heute. Wenn die Granaten im Laufe der Nacht nicht mehr durch unser Strohdach sausen, dann ertönt das Kommando: Aufstehen, fertigmachen zum Abmarsch! Dann geht es so morgen früh gegen vier bis fünf in der Dunkelheit weiter. In den Gräben steht uns ja die Decke zur Verfügung und man schläft auch dort ganz gut. Ja, mein Licht geht aus. Gute Nacht, Gruß
Richard
Lege Dir ein Tabakblatt bei!


  1. Französisch-belgische Grenzstadt an der Lys südöstlich von Ypern.
  2. Gemeint ist eine "ferme" (französisch für Gutshof).

Personen: Weber, Richard · Weber, Emilie
Orte: Comines
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe · Schützengräben · Kerzen · Tabak · Tornister · Beutestücke · Zeltbahnen · Granaten · Infanterie-Regiment Nr. 168
Empfohlene Zitierweise: „Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach, Abschnitt 1: 18.11.1914: Feldpostbrief aus der Gegend von Comines“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/175-13> (aufgerufen am 19.04.2024)