Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda

Abschnitt 5: Versorgungsprobleme, Preisentwicklung, Kriegsverlauf

[617-618] Indessen einen Erfolg hatte die englische Flotte trotz ihrer auffallenden kriegerischen Untätigkeit zu verzeichnen. Es gelang ihr Deutschlands Handel ganz zu unterbinden und die Zufuhr abzuschneiden. Das machte sich sehr bald bemerkbar durch die Teuerung aller Artikel, auf deren Lieferung vom Ausland wir angewiesen waren. Das Brot stieg von 52 Pf. bis auf 78 Pf. der 4pfündige Leib. Später sank der Preis wieder. Besonders schmerzlich empfunden wurde der Mangel an Fett und Ölen. Die milchtreibenden Futtermittel blieben aus, ebenso viele künstliche Düngungsmittel. Auch die Kleiderstoffe stiegen beträchtlich im Preis. Aber auch solche Produkte, welche im Land selbst reichlich vorhanden waren, wie Leder, wurden durch eine gewissenlose Spekulation, welche die Vorräte rasch aufkaufte, bedeutend im Preis erhöht. Hier zeigten sich schon am Anfang des ersten Kriegsjahres Erscheinungen, die im 2ten Kriegsjahr zu einer verderblichen Volkskrankheit geworden sind. Das Beispiel der Großspekulanten wirkte ansteckend auf die Kleinen. Und bald wollte jeder Händler und jeder Bauer über die von der Behörde gesetzten Höchstpreise hinaus verdienen [S. 618] oft an Artikeln, deren hoher Preis weder durch die Noth des Krieges noch durch die Knappheit des Vorrats gerechtfertigt war.

Noch im Spätherbst 1914 kam die Beschlagnahme der Getreidevorräte und das Verbot der Getreidefütterung des Viehs. Diese Maßnahme, die auf dem Lande nicht mit Beifall aufgenommen wurde, war zusammen mit der ebenfalls zuerst so hart verurteilten .Brotkarte' ein Segen für das Vaterland. Durch die Letztere, die den Brot verbrauch des Einzelnen regelte (4 Pfd. Brot die Woche auf den Kopf der Bevölkerung), wurde es möglich, aus dem fetten Jahr 1914 für das magere Erntejahr 1915 Vorrat anzusammeln, ohne dessen Vorhandensein unser Volk schwerlich bis zur beginnenden Ernte 1916 durchgehalten hätte. Im zweiten Kriegsjahr folgten der Brotkarte die Fleischkarte, die Fettkarte, die Zucker- und Butterkarte. Die städtische Bevölkerung machte schwere Entbehrungen durch, viel besser und billiger war es auf dem Lande. Indessen auch hier erreichten die Lebensmittel-Preise eine ansehnliche Höhe.

[Tabelle der Lebensmittelpreise siehe rechts]

Der Mangel an Arbeitskräften wird in diesem Jahr trotz häufiger Beurlaubung der Soldaten aus der Front und den Garnisonen und der Unterstützung der wenig zu landwirtschaftlichen Arbeiten taugenden Gefangenen noch drückender empfunden als in dem ersten Kriegsjahr.

Im Spätherbst des ersten Kriegsjahres bis tief in den Winter hinein fanden erbitterte Kämpfe in Polen statt. Dieselben führten bis hart an die schlesische Ostgrenze heran. Die Bedrohung dieser Provinz wurde aber durch den genialen Flankenstoß Hindenburgs und Mackensens im Nov. 1914 glücklich beseitigt. Lodz fiel in deutsche Hände. Die deutschen Heere drangen bis in die Nähe Warschaus vor. Der Winter setzte den kriegerischen Unternehmungen ein Ziel. Im Frühjahr 1915 kam es zu Rückzugskämpfen in Frankreich. Während den Sommer über an der Westfront verhältnismäßig Ruhe herrschte, kam es im Osten zu erbitterten aber für die deutschen Waffen erfolgreichen Kämpfen, die mit dem berühmten Durchbruch bei Gorlice durch Mackensen eingeleitet wurden.


Personen: Reuch, Julius · Hindenburg, Paul von · Mackensen, August von
Orte: Groß-Felda · England · Polen · Schlesien · Warschau · Frankreich · Gorlice
Sachbegriffe: Seekrieg · Blockadepolitik · Teuerung · Brot · Preisentwicklung · Düngermittel · Kleider · Leder · Spekulationen · Getreide · Viehhaltung · Brotkarten · Fleischkarten · Kriegsgefangene
Empfohlene Zitierweise: „Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda, Abschnitt 9: Versorgungsprobleme, Preisentwicklung, Kriegsverlauf“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/28-5> (aufgerufen am 19.04.2024)