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Prinz zu Isenburg führt Sondierungsgespräch mit Sozialdemokraten in Offenbach, 16. Oktober 1918

Der sozialdemokratische Landesparteisekretär in Offenbach am Main, Hermann Neumann (1882–1933), berichtet am 17. November 1918 an den Parteivorstand der SPD in Berlin von einer Unterredung, die er mit Prinz Leopold zu Isenburg (1866–1933) auf dessen Wunsch hin geführt hat. Dabei werden sowohl Fragen der hessischen Verfassung, als auch die politischen und staatsrechtlichen Fragen im Reich angesprochen:

Durch Herrn Kappus. Offenbach a. M., wurde ich zu einer Unterredung mit dem Prinzen Leopold zu Isenburg gebeten. Die Unterredung fand am Mittwoch, dem 16. Oktober 1918, in der Privatwohnung des Prinzen in Darmstadt, Goethestr. 44, statt und dauerte von 6.15 Uhr bis 7.20 Uhr abends.
Der Prinz bemerkte einleitend, er wünsche mit mir über zwei Punkte, über die speziell hessischen Fragen und über die das Reich betreffenden Fragen zu verhandeln. Er erklärte dann, er sei kein Sozialdemokrat, aber durchaus demokratisch gesinnt. Diese demokratische Gesinnung habe er schon immer gehabt und gehöre deshalb nicht zu den Umlernern. Was die hessischen Verhältnisse angehe, so sei eine Reform der Verfassung nicht mehr aufzuhalten. Das von der Sozialdemokratie geforderte Wahlrecht werde und müsse kommen. Bei dieser Gelegenheit müsse auch eine Reform der Ersten Kammer vorgenommen werden. Die Erste Kammer sei in ihrer jetzigen Zusammensetzung durchaus senil. Ich erklärte, nicht eine Reform, sondern Beseitigung der Ersten Kammer strebten wir an. Der Prinz erwiderte, das sei ihm bekannt, aber die Beseitigung würden wir jetzt nicht erreichen. Er mache deshalb den Vorschlag, von den 16 Standesherren sechs zu beseitigen und die verbleibenden zehn durch die Standesherren wählen zu lassen: dadurch würde Gewähr geboten, daß nur die gewählt würden, die wirklich Interesse hätten, und damit käme auch mehr Geist in die Erste Kammer. Für die sechs ausgefallenen Standesherren müßten Vertreter der Berufsstände (Handel, Gewerbe, Landwirtschaft und Arbeiterschaft) gewählt weiden. Das Recht des Großherzogs, Mitglieder der Ersten Kammer auf Lebenszeit zu bestimmen, zu beseitigen, würde jedenfalls nicht schwer fallen. Auf die direkte Frage, ob uns eine derartige Reform genügen würde, erklärte ich, mich dahingehend nicht binden zu können. Zur Zweiten Kammer übergehend, bemerkte der Prinz, daß über die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes nicht mehr zu reden sei, darüber gäbe es keine Diskussion mehr. [...]
Zu den Verhältnissen im Reich übergehend, erklärte der Prinz, er habe Fühlung mit fast sämtlichen regierenden Häusern Deutschlands und stehe mit diesen in dauernder Verbindung. Mit der Beseitigung der Hohenzollern müssen wir rechnen. Er hält es für ausgeschlossen, daß Frieden kommt ohne diese Beseitigung. Er äußerte sich dann ausführlich über die Kriegslage und die Friedensaussichten. Dann kam er zu der Frage, wie das neue Deutschland auszusehen habe. Er bitte, folgenden Vorschlag in Erwägung zu ziehen: Errichtung eines Staatenbundes, mit dem Reichstag an der Spitze. Die Leitung des Staatenbundes müßte einem Bundeskanzler übertragen werden. Auf meine Zwischenfrage, daß dann die Macht aller regierenden Häuser beseitigt sei, erklärte er: „Ja, das wäre auch nicht schlimm“, die Mehrzahl der Herren würden freiwillig zurücktreten. Wir würden bei einem derartigen Staatenbund aber die Deutsch-Oesterreicher gewinnen. Ein Gewinn, der nicht zu unterschätzen sei. Als Bundeshauptstadt könnte vielleicht Frankfurt a. M. in Frage kommen. Nicht nur wegen der zentralen Lage, sondern auch wegen der dort wohnenden Juden, die man unbedingt gewinnen müsse. (!) Auf keinen Fall aber sollte man sich damit einverstanden erklären, daß vielleicht mit Rücksicht auf den Anschluß Deutsch-Oesterreichs Bayern als Mittelpunkt bestimmt würde; das wäre nichts anderes, als eine katholische Herrschaft errichten, wovor wir uns hüten müßten. Er forderte meine Ansicht über diesen Plan, ausdrücklich bemerkend, daß, wenn wir diesem zustimmen würden, er dann im Sinne dieses Planes weiter bei den maßgebenden deutschen Regierenden tätig sein würde. Es sei keine Idee von ihm, sondern sie sei bereits Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Ich lehnte auf das Bestimmteste ab, darüber irgendwelche Erklärungen abzugeben, erklärte mich aber bereit, mit meinen Parteifreunden im Reich und in Hessen darüber zu konferieren und ihm dann in einer neuen Unterredung unsere Ansicht mitzuteilen. Dem stimmte der Prinz zu und bat mich, die Sache in den nächsten Tagen zu erledigen; er würde dann zu einer neuen Besprechung gerne zur Verfügung stehen.

Hermann Neumann gehört zu den amtierenden Offenbacher Stadtverordneten, ist Mitglied des Offenbacher Kreistags und zugleich Abgeordneter im Landtag des Volksstaates Hessen. Das Amt des Landesparteisekretärs der SPD bekleidet der gelernte Lithograf und (frühere) Angestellte der Ortskrankenkasse in Offenbach seit Dezember 1911. Im Januar 1920 wird er auf den Posten des Präsidenten der Landesversicherungsanstalt in Darmstadt berufen und arbeitet auf dieser Stelle bis 1933. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Hermann Neumann verhaftet und von SA-Männern ermordet.
(OV/KU)

Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Prinz zu Isenburg führt Sondierungsgespräch mit Sozialdemokraten in Offenbach, 16. Oktober 1918“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2814> (Stand: 16.10.2021)
Ereignisse im September 1918 | Oktober 1918 | November 1918
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