Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 16: Bericht vom 27. April 1918 (1)

◀ [962] Kassel, den 27. April 1918

Die Kriegsereignisse gegen Ende des Jahres 1917 haben trotz der langen Anspannung und der steigenden Opfer die Zuversicht der Bevölkerung in den schließlichen Endsieg erhalten und nicht zum Schwanken kommen lassen. Als aber endlich die Nachricht von dem Friedensangebot Rußlands und dem Beginn der Friedensverhandlungen eintraf, ging ein Gefühl der stolzen Genugtuung und Erleichterung durch die Bevölkerung, daß nunmehr die Opfer nicht vergebens gebracht sein würden und ihr Ende abzusehen sei. Zwar wurde die Langmut noch auf eine harte Probe gestellt, als sich ergab, daß die feindlichen Unterhändler ein frivoles Spiel mit uns treiben wollten. Um so größer war die Freude, als unsere Heere den Vormarsch in Rußland wieder aufnahmen und den Frieden erzwangen.

Auch hier in Kassel fand in den letzten Tagen des Januar ein von Unabhängigen Sozialdemokraten hervorgerufener Demonstrationsausstand statt, der aber nach drei Tagen beendet war, nachdem die Arbeiter und insbesondere die Gewerkschaftsführer eingesehen hatten, daß solches Treiben nur den entgegengesetzten Erfolg, als beabsichtigt, hatte und die Feinde in ihrem Verhalten Bestärkte. In den übrigen Teflen des Bezirks ist es zu Arbeiterbewegungen nicht gekommen.

Im Gegensatz zu den äußeren politischen Verhältnissen waren die inneren leider weniger geeignet, die einmütige Haltung der Bevölkerung zu fördern. Der zweimalige Kanzlerwechsel, die Friedensresolution der Mehrheitsparteien des Reichstags und die hiergegen auftretende Agitation der neugegründeten Vaterlandspartei und der Alldeutschen mußten Zwietracht geraae in der reichstreuesten Bevölkerung säen und in ihr Zweifel hervorrufen. Immerhin kann auch dies in der Hauptsache als überwunden angesehen werden, nachdem die Friedensschlüsse zeigen, daß auch che Entschließung der Reichstagsmehrheit vom Sommer 1917 Raum läßt für die Ausnutzung der Erfolge unserer Waffen. Nachdem inzwischen die herrlichen Erfolge unserer Truppen im Westen günstige Aussichten für eine Beendigung des Krieges eröffnen, ist die Stimmung wieder gehoben, und der Erfolg der 8. Kriegsanleihe auch im hiesigen Bezirk bestätigte, daß diese Stimmung sich in Taten umzusetzen weiß.

Die Frage der Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts zum Preußischen Abgeordnetenhaus hat in der Bevölkerung im allgemeinen keine große Erregung, kaum nennenswertes Interesse hervorgerufen, nur die sozialdemokratischen und linksliberalen Tageszeitungen benutzen die Vorlage für ihre Agitation. Bei den anderen Parteien wird die Frage, sowohl bei den Anhängern wie bei den Gegnern der Vorlage, ruhig beurteilt und behandelt. Das öffentliche Interesse ist zu sehr von den Kriegsereignissen und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Anspruch genommen. ▶