Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 14: Bericht vom 22. Oktober 1917 (3)

[959-960] Wenn ich nunmehr auf einige Einzelheiten eingehen darf, so ist zu bemerken, daß der Stand der Landwirtschaft heute als verhältnismäßig günstig angesehen werden darf. Die Ernte ist vollendet. Für Roggen war sie mittel, für Hafer infolge der anhaltenden Trockenheit in Juni, Juli gering, für Weizen und Gerste war sie mittel, für Kartoffeln gut, teilweise recht gut, für Hackfrüchte mittel, teilweise über mittel. Das Ergebnis der Heuernte ist, was den ersten Schnitt anlangt, infolge der Dürre meist sehr gering ausgefallen. Wenn auch durch den besseren Gehalt des Heues und die bessere Grummetemte ein gewisser Ausgleich geschaffen ist, so ist doch zweifellos eine große Knappheit an Rauhfutter vorhanden. Auch an Stroh wird Mangel sein, da sämtliches Korn in diesem Jahr nur kurz gewachsen ist. Der Viehstand hat, wie oben schon ausgeführt, durch die Eingriffe im Sommer zwecks Erhöhung der Fleischration gelitten. Namentlich älteres Vieh und Milchvieh ist stark vermindert, und die Qualität und das Gewicht des verbliebenen Viehs ist stark herabgesetzt. Doch ist der Landwirt heute, schon wegen der Düngererzeugung, auf Aufzucht angewiesen, und so werden die Lücken im Rindviehbestand wohl wieder aufgefüllt werden können. Da dem Landwirt sämtliche Futtermittel abgenommen sind, so kann er sich nur mühsam seinen eigenen Bedarf an Schlachtschweinen erhalten; von Mästen für den Verkauf kann kaum gesprochen werden. Außerdem hat die Verordnung, daß Ferkel bis zu 30 Pfd. ohne Anrechnung auf die Fleischkarte geschlachtet werden sollten, ziemlich unter dem jungen Schweinebestand aufgeräumt.

Die Herbstbestellung ist bei meist günstigem Wetter gut fortgeschritten, doch wird von allen Seiten über den Mangel an künstlichem Dünger geklagt; vor allem fehlen die stickstoffhaltigen Düngersorten.

Wenn oben gesagt worden ist, der Stand der Landwirtschaft könne als durchweg günstig angesehen werden, so bedarf dies doch noch einer Einschränkung. Schwerer als irgend ein anderer Stand wird die Landwirtschaft betroffen durch den Mangel an menschlichen und tierischen Arbeitskräften. Frauen und Kinder müssen oft Arbeiten verrichten, die weit über ihre Kräfte gehen. Was aber besonders hemmend und verlangsamend auf den Fortgang sämtlicher Arbeiten wirkt, das ist der außerordentliche Mangel an Pferden. Wenn auch der Kleinbauer im Hessischen vielfach mit Rindvieh bestellt und erntet, so erhellt der dringende Bedarf an Pferden schon aus dem Umstande, daß für Arbeitspferde mittleren Schlages häufig jetzt bis zu 5.000 Mark von Landwirten gezahlt werden müssen. Aber trotz dieser Schwierigkeiten darf erwartet werden, daß die Produktion in den kommenden Jahren in der Landwirtschaft nur unwesentlich zurückgehen wird. Wenn auch die Hilfe durch militärische Kommandos und Schulen wegen der vielen Schwierigkeiten und Umständlichkeiten, die sie im Gefolge haben, nur gering veranschlagt [S. 960] werden darf, namentlich da, wo der Besitzer unter den Fahnen steht, so ist doch jedermann auf dem Lande, aufgeklärt durch die Behörden einerseits, angespomt durch die hohen Preise aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse andererseits, davon durchdrungen, daß kein Stück Land unbebaut liegen bleiben darf. Im Gegenteil, eine starke Nachfrage nach Pachtland, namentlich in der Umgebung der kleineren und mittleren Städte, macht sich ständig wachsend bemerkbar.


Personen: Bernstorff, Percy Graf von
Sachbegriffe: Landwirtschaft · Ernteergebnisse · Witterung · Kartoffeln · Viehhaltung · Bauern · Fleischkarten · Schweine · Frauenarbeit · Kinderarbeit · Pferde
Empfohlene Zitierweise: „Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918, Abschnitt 1: Bericht vom 22. Oktober 1917 (3)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/26-14> (aufgerufen am 23.04.2024)