Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918

Abschnitt 26: 24.10.1916: Brief des Eugen Gura, geboren in Kassel

[256-257]

Erläuterung:
Siehe die Erläuterung zum Brief vom 13. Februar 1915.


24. Oktober 1916.

Es war schon bitter kalt und Schnee und rechter Winter bei uns. Jetzt Wettersturz, warm und sonnig. Wir arbeiten fest an unserm Winterholzvorrat, aber ich hoffe immer, daß man uns doch noch aus unsern Bärenhöhlen holt, um auch an dem Großen und Wunderbaren mitzutun, was gerade geschieht. [S. 257] Gemütlich sind sie ja, die Bärenhöhlen, ganz gewiß. Und das Leben darin ebenfalls. Aber die Gemütlichkeit, die dem Deutschen leider viel zu sehr als Ideal vorschwebt, ist nicht der Lebensinhalt des Mannes. Wenn ich an die kahlen Granatlöcher, die entsetzlichen Leiden der Somme denke und unsere Lage betrachte, muß ich unwillkürlich sagen, wir haben Glück, wir haben's schön. Aber jenes Fünkchen Ehrgeiz, was man doch immer im Leibe spürt wie eine Stecknadelspitze, ist der bessere Teil und gehört zum edleren und wertvolleren Teil unseres Seins. Man muß umlernen in dieser Zeit. Gewiß ist der Krieg ein Wahnsinn, fraglich, ob der materielle Gewinn die beispiellosen Opfer aufwiegt, fraglich, ob das Opfer, das unsere Generation bringt, in der drittfolgenden Ernte bringt. Aber haben wir's denn in der Hand, die Mächte des Weltgeschehens zu schieben? Das Leben ist nicht dazu da, uns Glück und Zufriedenheit zu bringen. Sondern wir sind in der Welt, stehen im Leben und müssen tun, wie es die Verhältnisse in ihm fordern. Schwächlich und unnütz die Klagen über Unglück, Leiden und Verluste. Schwächlich alles Heraussehnen nach einer Vergangenheit, die doch nur die schwere Gegenwart nach sich zog, schwächlich und unnütz alle Pläne in die Zukunft. Ich denke anders über vieles, worüber ich früher geschimpft. Es ist sentimental, ich muß es zugestehn, sein eigenes Ich allzusehr zu berücksichtigen, sein eigenes Bündel allzusehr zu bejammern, für sich etwas zu wollen. Ich sehe das ein. Das einzig Männliche ist es, mit dem Gegebenen zu rechnen und zu schaffen. Freilich des Unerreichten und Unerreichbaren ist viel.


Personen: Gura, Eugen
Orte: Kassel · Somme
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe
Empfohlene Zitierweise: „Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918, Abschnitt 13: 24.10.1916: Brief des Eugen Gura, geboren in Kassel“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/173-26> (aufgerufen am 16.04.2024)