Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

Inhalt

Abbildungen

↑ Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918

Abschnitt 20: 26.5.1915: Brief des Eugen Gura aus Kassel

◀ [202-203]

Erläuterung:
Siehe die Erläuterung zum Brief vom 13. Februar 1915.

Buschhof, 26. Mai 1915.

E. taut auf, erzählt von seinem Leben, mit Glut und Schwärmerei und sehnt die Heimat herbei. Ich nicht. Ein Schlaraffenland, ist sie mir fabelhaft, an das man ernsthaft nicht denkt. Ich kenne nur ein «heute». Ich kenne kein «morgen» und keine Heimat. Unsere Heimat ist bei unserer Fahne, und unser Leben ist wirkliches Leben, kein Buchleben. Fremd mutet mich vieles von der heimatlichen Kultur an. Möge es nach dem Krieg noch Männer geben, die diese Läuterung des Krieges in den Frieden tragen, die mit der Ästhetenkultur aufräumen. Nur im intimen Anschluß an das Volk, an seine Einfachheit und Kraft, kann eine wahre Kultur der hohen Menschlichkeit erstehen. Unsere Kultur muß so werden, daß sie nicht mehr von einer kleinen Gruppe wichtig dreinschauender Bebrillter gemacht und unterhalten wird, daß der gemeine Mann darüber lacht, weil [S. 203] ihm der lebendige Kontakt damit fehlt, sie muß Volksgut werden. Damit soll der Forschung, der Philosophie, der Arbeit, die um ihrer selbst willen und nicht um Geld und materielle Erträgnisse da ist, keineswegs der Bankrott erklärt und der «gesunde Menschenverstand», die «Stimme des Volkes», der «verträumte Glaube» aufden Altar gesetzt werden. Es ist bezeichnend, daß es Leute gibt, die diesen Weltkrieg ausbeuten wollen, um dank des Heldengeistes und Herdendenkens unsere geistige Entwicklung zurückzuschrauben. Aus dem Volk in nationaler Einfachheit und Kraft soll unsere kommende Kultur herauswachsen, in die alte hinein, um die alte herum, läutern, erneuern und machen, daß die Deutschen um 2014 besser seien als die heutigen. Wie stark das neue Rassegefühl ist, zeigt die Jugend.
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