Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 3: Bericht vom 25. Januar 1917 (3)

[951] Die Schulverwaltung mußte ihre Tätigkeit darauf beschränken, für einen einigermaßen geordneten Schulbetrieb in den von ihren Lehrern verwaisten Bezirken zu sorgen, was nicht immer leicht war, so daß sehr bald Stimmen laut wurden, die eine Verwahrlosung der Jugend beobachten wollten. Indessen sind solche Beschwerden übertrieben. Noch heute berichten die Kreis- und Ortsschulinspektoren, daß sie im allgemeinen mit dem Verhalten der Schulkinder zufrieden sein können. An mehreren Orten sind Kinderhorte eingerichtet oder erweitert worden, damit die Mütter, während sie selbst auf Arbeit gehen, ihre Kinder unter Aufsicht und in Pflege wissen. Auch haben die Verwaltungsbehörden es sich angelegen sein lassen, die Jugendpflege für die schulentlassene Jugend, die im hiesigen Regierungsbezirk schon seit Jahren eifrig betrieben wird, nicht einschlafen zu lassen, sondern gerade während des Krieges eifrig zu fördern, soweit dies irgendwie durchführbar war. Abgesehen von den Jugendkompagnien, die in fast allen Kreisen errichtet wurden, um die militärische Ausbildung zu fördern, wurden auch neue Einrichtungen, insbesondere auch für die weibliche Jugend, ins Leben gerufen. So ist in Kassel für das Marienheim für Arbeiterinnen ein neues Gebäude mit zweckmäßigen Herbergs- und Versammlungsräumen erworben worden, weil das bisherige Haus zu eng wurde. Es wohnen darin 75 Fabrikarbeiterinnen, während deren 500 täglich dort essen; abends werden ihnen Vorträge oder sonstige Beschäftigung geboten. Ein zweites Heim für Mädchen soll demnächst im Stadtteil Bettenhausen errichtet werden. Zu beiden Häusern haben neben Staat und Gemeinde die nächst beteiligten Fabrikbesitzer namhafte Beiträge geleistet. Auch ein katholisches Mädchenheim ist im Entstehen begriffen.

Zu den militärischen Jugendkompagnien fand im ersten Herbst 1914 ein reger Zulauf statt, der freilich im zweiten Jahr erheblich nachließ, so daß viele glauben, ohne Zwang könnte die Organisation nicht aufrechterhalten werden. Indessen darf man in dieser Beziehung nicht zuviel erwarten. Es ist zu berücksichtigen, daß gerade die Männer, die am meisten geeignet und gewillt sind, die Sache zu fördern, im Felde oder sonst stark in Anspruch genommen sind. Die Wettkämpfe, die am 10. September v. J. in der Aue hierselbst stattfanden, gaben ein erfreuliches Bild der Tätigkeit der Führer und Jungmannen, und die Anerkennung, die Ew. Majestät erst kürzlich den Jugendkompagnien ausgesprochen haben, wird sicherlich sie zu regem Eifer anspornen und ihnen neue Mitglieder zuführen.


Personen: Bernstorff, Percy Graf von
Orte: Kassel · Bettenhausen
Sachbegriffe: Schulverwaltung · Schulen · Lehrer · Jugend · Jugendverwahrlosung · Kinderhorte · Jugendpflege · Jugendkompanien · Arbeiterinnen · Fabrikarbeiterinnen · Fabrikbesitzer · Mädchenheime
Empfohlene Zitierweise: „Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918, Abschnitt 3: Bericht vom 25. Januar 1917 (3)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/26-3> (aufgerufen am 28.03.2024)