Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg


Inhalt

  1. Der Beginn des Ersten Weltkriegs in Wasenberg
  2. Wasenberg im weiteren Verlauf des Krieges

↑ Maria Elisabeth Bambey, Eine Schwälmerin erinnert sich an den Beginn des Ersten Weltkriegs, 1914

Abschnitt 1: Der Beginn des Ersten Weltkriegs in Wasenberg

[32-33]
Am 31. Juli 1914 sagte mein Vater beim Mittagessen: "Es gibt wahrscheinlich Krieg, als Folge des Mordes von Sarajewo". Ein Rauchwarenlieferant hatte dem Vater davon erzählt. "Das mag Gott verhüten", meinte die Mutter, wussten wir doch von den Schrecken eines Krieges aus den Schilderungen unseres Großvaters. Er war Veteran von 1870/71.

Am nächsten Tag begannen wir mit dem Roggenschnitt, damals noch mit Sense und Sichel. Auch ich als Neunjährige musste schon mithelfen. Nachdem wir einige Stunden gearbeitet hatten, fuhr ein Radfahrer vorbei und rief uns zu: "Werft die Sensen weg, es gibt Krieg!" Es fuhr uns in alle Glieder, und Vater sagte: "Lasst uns nach Hause gehen, mir fehlt die Lust zum Weiterarbeiten." Im Dorfe standen überall Gruppen von Leuten zusammen. Aufgeregt riefen sie uns zu: "Kaiser Wilhelm hat die Mobilmachung beschlossen!" Abends war das ganze Dorf bei der Post versammelt, um die amtliche Bestätigung der Mobilmachung zu hören. Als sie durchgegeben wurde, hielt die Menge den Atem an, es war mucksmäuschenstill. Viele Frauen weinten. Der Vorsitzende des Kriegervereins hielt eine ergreifende Ansprache. Danach wurde gesungen: [S. 33] "Es braust ein Ruf wie Donnerhall", und "Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand ... ". Still gingen die Leute nach Hause.

Der Kriegerverein kam in unsere Gastwirtschaft, viele aufgeregt diskutierend, andere schweigsam, daran denkend, am anderen Tag schon einrücken zu müssen. Aus unserer Nachbarschaft wurden einige Familienväter am 2. August von ihren Angehörigen zum Bahnhof in Treysa begleitet. Sie waren unter den ersten Gefallenen unseres Dorfes. In den folgenden Tagen verließen viele Männer ihre Familie, um für das Vaterland zu kämpfen. Es wurden Bittgottesdienste abgehalten und das Lied "Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten" gesungen. Liebesgaben wurden gesammelt und am Bahnhof in Treysa an die durchfahrenden Soldaten verteilt. Mit meiner Tante bin auch ich zum Bahnhof gegangen, mit einem Korb voll belegter Brote und Frühäpfel dabei. Ein Soldat, der im Manöver bei meinem Onkel einquartiert war, sollte an diesem Tag mit dem Zug durch Treysa kommen. Er hatte in einem Brief um ein vielleicht letztes Wiedersehen gebeten. Ihn haben wir noch einmal sehen und mit den Liebesgaben erfreuen können. Welch ein Betrieb herrschte auf dem Bahnsteig! Der Vaterländische Frauenverein Treysa verteilte belegte Brote, Kakao und Kaffee an die Soldaten. Letztere waren der Meinung, in vier Wochen wäre der Krieg aus. Es wurden wurden aber über vier Jahre daraus! Die Züge waren mit Girlanden geschmückt und mit Kreide beschrieben, wie "Mit Gott für Kaiser und Vaterland" oder "Lieb Vaterland magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein".


Personen: Bambey, Maria Elisabeth · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser
Orte: Wasenberg · Treysa
Sachbegriffe: Wacht am Rhein · Attentat von Sarajewo · Deutsch-Französischer Krieg 1870-1871 · Mobilmachung · Kriegervereine · Kriegsangst · Bahnhöfe · Manöver · Liebesgaben · Vaterländische Frauenvereine
Empfohlene Zitierweise: „Maria Elisabeth Bambey, Eine Schwälmerin erinnert sich an den Beginn des Ersten Weltkriegs, 1914, Abschnitt 3: Der Beginn des Ersten Weltkriegs in Wasenberg“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/22-1> (aufgerufen am 20.04.2024)