Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Der erste Kriegsmonat im Offenbacher Abendblatt, August 1914

Abschnitt 1: 1.8.1914: Die Sozialdemokratie und der Krieg


Die Sozialdemokratie und der Krieg.

Die deutsche Sozialdemokratie hat mir aller Energie für die Erhaltung des Friedens gekämpft. Der Kampf war vergeblich - in wenigen Stunden stehen wir, steht Europa im Kriege. Damit ändern sich die Aufgaben des klassenbewußten deutschen Proletariats. Die Situation des deutschen Vaterlandes in dem bevorstehenden furchtbaren Kampfe ist äußerst schwer. Deutschland wird mit einem Bundesgenossen, der mit starker Heeresmacht auf einem andern Kriegsschauplatz festgehalten ist, gegen zwei Fronten - vielleicht obendrein noch in der Nordsee gegen England - zu kämpfen haben. Das ist ein Krieg, gegen den der von 1870/71 ein Kinderspiel war.

Die ungeheure Mehrheit des deutschen Volkes hat diesen Krieg nicht gewollt. Aber es gibt in ganz Deutschland keine Partei, keine Gruppe, und - wir glauben - keinen Menschen, der in diesem Kriege eine Niederlage Deutschlands will.

Diese Niederlage wäre etwas Unausdenkbares Entsetzliches. Ist schon ein Krieg an sich der Schrecken aller Schrecken, so wird das Furchtbare dieses Krieges noch durch den Umstand vermehrt, daß er nicht nur unter zivilisierten Nationen geführt wird. Wir haben das Vertrauen zu unsern Klassen- und Volksgenossen in Uniform, daß sie sich vor aller überflüssigen Grausamkeit fernhalten werden. Wir können dieses Vertrauen nicht haben zu den buntgemengten Völkerschaften des Zaren, und wir wollen nicht, daß unsere Frauen und Kinder Opfer kosakischer Bestialitäten werden.

Wir müssen noch Ferneres bedenken. Die geographische Lage zwingt Deutschland und Oesterreich, nach drei oder vier Seiten nach außen zu kämpfen. Die Verbündeten können nicht mit ihrer ganzen Macht nach einem Punkt einwirken und darum werden sie auch im Falles eines Sieges nicht mit jenem Uebermut des Siegers auftreten können, der jetzt im voraus aus den unverantwortlichen Aeußerungen gewisser Zeitungen spricht. Die Gegner aber streben dann mit all ihren Kräften konzentrisch dem Mittelpunkte des deutschösterreichischen Länderblockes zu. Deutschland-Oesterreich können den Gegnern kaum eine so vollkommene Niederlage beibringen, wie es die Niederlage Deutschlands wäre, wenn die Gegner von allen Seiten siegreich eindrängen.

Niederlage wäre gleichbedeutend mit Zusammenbruch, Vernichtung und namenlosem Elend für uns alle. Und unser aller Gedanken bäumen sich gegen diese Möglichkeit auf. Unsere Vertreter im Reichstag haben es unzähligemale für eine Verleumdung erklärt, daß die Sozialdemokraten ihr Land im Augenblick der Gefahr im Stiche lassen können. Wenn die verhängnisvolle Stunde schlägt, werden die Arbeiter das Wort einlösen, das von ihren Vertretern für sie abgegeben worden ist. Die vaterlandslosen Gesellen werden ihre Pflicht erfüllen, und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen.

Unsere Fraktion steht bei der Frage der Bewilligung der Kriegskredite vor einer furchtbar verantwortungsvollen Entscheidung, die ihr durch keine Diskussion erschwert werden darf. Man wird sich vielmehr bemühen müssen, jede Entscheidung, die sie treffen kann, zu begreifen. Wer sie kennt, der weiß, daß ihr nichts ferner liegt, als den Krieg gutzuheißen, für seinen Ausbruch auch nur das kleinste Stückchen Verantwortung zu übernehmen und die Bande der Internationalität zu zerreißen, die nach dem Kriege wirksamer als je in Erscheinung treten werden. Wer sie kennt, weiß aber auch, daß die Ablehnung der Verantwortung für den Krieg keineswegs die Ablehnung der Verteidigung bedeutet, die für uns alle im Augenblick des Kriegsausbruches zu unerbittlichen Lebenspflicht geworden ist. Selbstverständlich ist, daß die Fraktion in vollständiger Geschlossenheit auf den Plan treten wird. Die Partei einig durch diese Ziele der furchtbaren Krise zu führen und alle Kräfte zu sammeln, die zum Wiederaufbau notwendig sind, bleibt unter allen Umständen die Pflicht aller, denen die Liebe zu unserer großen Sache im Herzen sitzt.

Unser Herz weiß nichts von Kriegsbegeisterung. Es ist erfüllt mit tiefem Abscheu vor dem Krieg. Aber wenn kein Opfer mehr hilft, um das Verhängnis aufzuhalten, wenn wir uns dann der namenlosen Schändlichkeit erinnern, die der Zarismus an seinen eigenen Volksgenossen verübt hat, wenn wir uns weiter vorstellen, die Schergen dieser barbarischen Gewalt könnten als trunkene Sieger unser Land betreten, dann dringt ein Schrei über unsere Lippen: Nur das nicht !

Jenseits aller Greuel der Verwüstung steigt uns ein anderes freundlicheres Bild auf. Ein freies deutsches Volk, das sich sein Vaterland eroberte, indem es dieses sein Land verteidigte. Dieses freie deutsche Volk nach billigen Friedensbedingungen im Bunde mit den großen Kulturvölkern des Westens. Unsere große Sache allüberall im Vordringen. Drüben aber im Osten die rauchenden Trümmer eines Zarenthrones.

[Offenbacher Abendblatt vom 1. August 1914]


Sachbegriffe: Sozialdemokratie · SPD · Kriegskredite · Zeitungen · Offenbacher Abendblatt
Empfohlene Zitierweise: „Der erste Kriegsmonat im Offenbacher Abendblatt, August 1914, Abschnitt 13: 1.8.1914: Die Sozialdemokratie und der Krieg“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/161-1> (aufgerufen am 24.04.2024)