Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Frieda Zölzer, Die Mobilmachung und die ersten Kriegswochen in Buchenau, 1914

Abschnitt 4: Musterung der Kriegspferde in Buchenau, 3. August 1914

[Sp. 273-274]
Für die Zurückbleibenden hieß es: „Verdoppelt euren Fleiß, um die fehlenden Kräfte zu ersetzen!“ Die Arbeit wurde noch erschwert durch die Einziehung der kriegstüchtigen Pferde, die am Montag, den 3. August, auf dem Seewasem zu Biedenkopf ausgemustert wurden. Manchem Bauer wurde es schwer, sich von einem liebgewordenen Tier zu treffen, das er selbst auferzogen und von dessen Schicksal er nie wieder etwas erfahren sollte. Abends kamen die Pferde durch Buchenau, wo sie für eine Nacht untergestellt wurden. Ein Teil unseres Ersatzes wurde als Begleitmannschaft benutzt. Am andern Tag frühzeitig brach die Karawane wieder auf, um den Transport nach Mainz abzuführen.

Am dritten Mobilmachungstag trat als unangenehme Begleiterscheinung der neue Kriegsfahrplan in Kraft. Viele Personen, die in Ferien hier weilten, konnten garnicht nach Hause kommen, ohne mehrere Tage unterwegs zu sein. Um nach einem benachbarten Dorf oder nach unserem Kreisstädtchen zu gelangen, benutzte man schon gar keinen Zug mehr, der sich ja doch nur von einer Station bis zur ändern wie eine Schnecke bewegte. Wie in alten Zeiten gingen wieder viele mit ihren Knotenstöcken durchs „Langeloh" nach Biedenkopf. Die jüngeren Leute benutzten die Räder. Man hätte nie gedacht, daß man etwas so vermissen könnte, als unsere gewohnten fahrplanmäßigen Züge, die uns fast die Uhr ersetzten und unsre Zeit bestimmten.

Dis Begeisterung unserer Dorfjugend war groß. Den jungen Burschen, die noch nicht zum Militär gezogen waren, wollte die alltägliche Feldarbeit nicht behagen. Sie wären am liebsten auch gleich in des Kaisers Rock geschlüpft und schämten sich fast ihrer Zivilkleidung. Einige meldeten sich freiwillig, und bedrückt kehrten sie zurück, wenn sie die bündige Antwort erhielten, daß jetzt noch kein Platz für sie da sei. Für sie gab es im Dorf andre kriegerische Arbeit. Die Straßen und das Wasserwerk mußten aufs strengste bewacht werden. Es hatte sich hier die Mär verbreitet: Spione vergiften das Wasser, und die Franzosen versuchen in Autos ihren russischen Freunden Geld zu übermitteln. Mit größter Gewissenhaftigkeit wurde die Bewachung durchgeführt. Zwei Männer oder Burschen standen mit scharf geladenen Gewehren an der Straße am Eingang des Dorfes, an der Eisenbahnbrücke und andern öffentlichen Uebergängen. Kein fremdes Gefährt kam ungeschoren durch. Besonderer Revision wurden die Autos unterzogen. Die Schuljugend war immer vollzählig an diesen interessanten Plätzen versammelt und es fehlte keineswegs an erheiternden Momenten.



Personen: Zölzer, Frieda
Orte: Biedenkopf · Mainz · Buchenau
Sachbegriffe: Pferde · Eisenbahn · Kriegsfahrplan · Fahrradfahren · Landwirtschaft · Sabotage · Spionenfurcht · Franzosen · Russen · Gewehre · Straßensperren
Empfohlene Zitierweise: „Frieda Zölzer, Die Mobilmachung und die ersten Kriegswochen in Buchenau, 1914, Abschnitt 9: Musterung der Kriegspferde in Buchenau, 3. August 1914“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/4-4> (aufgerufen am 24.04.2024)