Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919

Abschnitt 4: Brotkarten, Strikte Mehl- und Brotbewirtschaftung

[28-29]
Im Frühjahr 1915 erfolgte eine weitere wirtschaftliche Maßnahme, um dem Aushungerungsplan Englands1 entgegenzuarbeiten. Es handelte sich um die Brotversorgung unseres Volkes, die bis zur kommenden Ernte sichergestellt werden sollte. Allenthalben im deutschen Reiche wurden Brotkarten und Brotmarken ausgegeben, auf denen das bestimmte Brotquantum für jede Person aufgezeichnet stand. In unserem Dorfe gab man am 15. Februar 1915 die ersten Brotkarten heraus. Diese Einrichtung war von unschätzbarem Wert. Sonst wäre die arme Bevölkerung den Reichen gegenüber übel dran gewesen. So bekamen Arme und Reiche dasselbe Quantum Brot oder Mehl zugemessen. Pro Kopf erhielt man täglich 200 g Mehl oder 250 g Brot. Ob man Brot oder Mehl nehmen wollte, darüber konnte jede Familie selbst entscheiden. Statt Roggenmehl konnte man auch einen gewissen Prozentsatz Weizenmehl bekommen. Nur der Preis war verschieden (Roggenmehl 16 bis 19 Pfennig und Weizenmehl 21 bis 23 Pfennig à Pfund). Die Selbstversorger, das waren Leute, die ihr Korn selbst zogen (Bauern, Landwirte), waren im allgemeinen besser dran. Sie erhielten à Person für den Monat 20 Pfund, später 18 Pfund. Alles übrige Korn wurde beschlagnahmt und mußte an den Staat abgeliefert werden, keine Brotfrucht durfte an das Vieh verfüttert oder verheimlicht werden. Wer dies Gebot übertrat, wurde mit hohen Strafen belegt. Es sind Leute mit 5000 Mark bestraft worden. In unserer Gemeinde sind keine höheren Strafen verhängt worden. Jeder Bauer mußte seine Früchte genau angeben. Später wurden die Früchte genau von der Polizei nachgewogen. Hatte sich ein Mann Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen, so wurde er gerügt oder mit Geld [S. 29] bestraft, oder die Frucht wurde beschlagnahmt (die verheimlichte Frucht), und er bekam keine Bezahlung dafür. Die Brotfrucht war verhältnismäßig billig. Roggen 11 bis 13 Mark, Weizen 13 ½ bis 14 ½ Mark per 100 Pfund. Das Wiegen der Früchte war für manche Familien eine schwere Arbeit, da es an männlichen Arbeitskräften fehlte.

Im Jahre 1915 wurde die Mehlversorgung vom Kreise aus bewirkt. Die Versorgung ließ manches zu wünschen übrig. Das Mehl war durch das Aufeinanderlagern meist knotig, und es hatten sich viele Mehlwürmer darin gebildet. Das Brot von diesem Mehl war schwarz, es ließ sich nicht gut backen, und das Brot war kaum genießbar, so daß viele berechtigte Klagen laut wurden. 1915/16 wurde die Mehlversorgung von der Gemeinde aus geleitet. Unsere zwei Müller mußten die Früchte mahlen, und nun gab es gutes Brot. Die Früchte mußten 75 bis 80 % und höher ausgemahlen werden. Die Kleie wurden zeitweise je nach Viehbestand an die Bevölkerung (8 Pfennig à Pfund) abgegeben. Manchmal wurde der Satz von 200 g à Person pro Tag noch reduziert auf 185 g. Für schwer arbeitende Leute wurde ein kleiner Zusatz gegeben. Weizenmehl war fast gar nicht zu bekommen. Das Kuchenbacken wurde verboten. Unsere Einwohner konnten sich nicht gut an dieses Verbot gewöhnen, und es wurde darüber sehr viel räsoniert. Mit dieser Maßregel mußte Ernst gemacht werden - und es ist Ernst gemacht worden! Gott sei's gedankt, fiel die neue Getreideernte 1915 noch ziemlich mittelmäßig aus. Das Wetter war im Frühling kalt, dann herrschte trockene Witterung, den letzten Regen hatte unsere Gemarkung am 17. Mai. Von diesem Tage an schien die Sonne jeden Tag heiß hernieder. An Gebunden gab es nichts wie Korn, doch hatten die Ähren gut geladen, es gab viel Körner, die sehr mehlhaltig waren. Durch die Trockenheit ließ die Quantität des Heus zu wünschen übrig, die Qualität war gut. Schlimm war es für die Sommerfrüchte. Hier hatte man eine Mißernte zu verzeichnen, Hafer, Gerste, Erbsen usw. waren sämtlich fehlgeschlagen. Es wurde nicht mehr als die Aussaat geerntet. Auch das Gemüse lieferte nicht die früheren Erträge. Wegen der Trockenheit konnte es nicht gepflanzt werden. Das Weißkraut bekam wenig Köpfe, und die Dickwurzeln blieben klein.


  1. Durch eine Seeblockade Deutschlands in der Nordsee versuchte Großbritannien mit Erfolg, Deutschland von den Nachschubwegen auf See abzuschneiden.

Personen: Zölzer, Heinrich Carl
Orte: Buchenau
Sachbegriffe: Blockadepolitik · Brot · Brotversorgung · Brotkarten · Mehl · Bauern · Kuchenbacken · Witterung · Ernteerträge
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Carl Zölzer, Schulchronik von Buchenau, 1914-1919, Abschnitt 21: Brotkarten, Strikte Mehl- und Brotbewirtschaftung“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/20-4> (aufgerufen am 28.03.2024)