Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 1: Keine Fastnacht in Dieburg, Hirtenbrief, Siegesnachrichten

[Nr. 1] Feldbrief vom 21. Februar 1915

An Fastnacht geht es gewöhnlich in Dieburg hoch her. Masken durchziehen die Straßen, Trompeten und Knarren sorgen für den erforderlichen Spektakel, Tanzgelegenheit ist in Menge geboten, Bier und Wein fließen in Strömen. In diesem Jahre aber hat man vom Karneval hier nichts gemerkt. Kein Domino oder Harlekin ließ sich sehen. Nicht einmal das alte „sinnreiche" Lied vom „Vetter Gunkes"1 und seiner „holzig Latern" hörte man. Die Kinder, die sonst sich hauptsächlich an dem Rummel beteiligten und viel Unfug trieben, hatten Schulunterricht. Und so war es recht. Wenn die Gatten, Väter, Brüder oder Verwandte für Deutschlands Ehre und Schutz bluten, geziemt es sich, daß auch die Angehörigen in der Heimat eine würdige und ernste Haltung beobachten.

Während des Hochamtes am Sonntag wurde in der Pfarrkirche der Hirtenbrief unseres hochwürdigsten Diözesanbischofs2 vorgelesen. Er behandelt die Frage: „Wird der furchtbare Völkerkrieg, der unbeschreibliche Opfer kostet, zum bleibenden Nutzen sein für das Heil der Seelen?" Die Antwort lautet: „Ganz gewiß, wenn durch die Leiden und Schrecken des Krieges die einzelnen und die Völker zurückgeführt werden zu Christus, dem Sohne Gottes." In dem Arbeitshaus, wo sich gegenwärtig 80 kranke und verwundete Soldaten befinden, wurde während des Lazarettgottesdienstes der Hirtenbrief des hochwürdigsten Armeebischofs verlesen. Auch er spricht vom Krieg, ermahnt zur Buße, zum Gebete, Gottvertrauen und Mut.

Die Stimmung des Ernstes, die am Sonntag alle beseelte, kam auch zum Ausdruck am Montag und Dienstag, als die Seelenämter für die gefallenen Krieger Kaspar Joseph Bonifer, 168. Inf.-Reg. Leibkomp.3, und Karl Adam Kreß, 115. Inf.-Reg. 5. Komp.4, abgehalten wurden.

Am Aschermittwoch wurden wir alle an den Tod erinnert durch das Aschenkreuz, das der Priester uns auf die Stirne zeichnete mit den Worten: „Gedenke, o Mensch, daß Du von Staub bist und wieder zu Staub wirst." Den Kriegern im Felde wurde diese Wahrheit noch viel lauter und eindringlicher gepredigt durch den Donner der Geschütze. Der Aschermittwoch ist deshalb gewiß nicht geeignet zu Aeußerungen der Freude. Als aber morgens die Nachricht von dem glorreichen Siege in Masuren5 hierher gelangte, durchbrach die Begeisterung über den errungenen Erfolg die Aschermittwochsstimmung, wir läuteten mit allen Glocken, und unsere Jungen, die schulfrei bekamen, gaben ihrer Freude in lautem Hurrarufen Ausdruck.

Erwähnt sei noch, daß Herr Rechtsanwalt Lüft, Offizierstellvertreter beim Stabe des 221. Res.-Inf.-Reg.6, der bereits das Eiserne Kreuz besitzt, jetzt auch noch die Hessische Tapferkeitsmedaille erhielt.


  1. Der "Vetter Gunkes" ist ein Dieburger Karnevalsfigur, die auf einen bekannten Hochzeitsbitter in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgeführt wird.
  2. Dieburg gehört zum Bistum Mainz. Bischof in den Jahren des Ersten Weltkriegs war Georg Heinrich Maria Kirstein (1858-1921).
  3. Das in Butzbach, Friedberg und Offenbach stationierte 5. Großherzoglich Hessische Infanterie-Regiment Nr. 168.
  4. Das in Darmstadt stationierte 1. Großherzoglich Hessische Leibgarde-Infanterie-Regiment Nr. 115.
  5. Die von den deutschen Kräften erfolgreich beendete Winterschlacht in Masuren fand zwischen dem 7. Februar und dem 22. Februar 1915 statt. Der deutsche Sieg wurde propagandistisch stark hervorgehoben.
  6. Das Hessische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 221.

Personen: Ebersmann, Jakob · Bonifer, Kaspar Joseph · Kreß, Karl Adam · Lüft · Kirstein, Georg Heinrich Maria
Orte: Dieburg · Masuren · Butzbach · Friedberg · Offenbach · Darmstadt · Mainz
Sachbegriffe: Fastnachtsfeiern · Tanz · Karneval · Vetter Gunkes · Schulunterricht · Messfeiern · Hirtenbriefe · Bischöfe · Arbeitshäuser · Verwundete · Lazarette · Gottesdienste · Armeebischöfe · Infanterie-Regiment Nr. 168 · Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 221 · Infanterie-Regiment Nr. 115 · Aschermittwoch · Glockenläuten · Siegesmeldungen · Eisernes Kreuz · Hessische Tapferkeitsmedaille
Empfohlene Zitierweise: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 1: Keine Fastnacht in Dieburg, Hirtenbrief, Siegesnachrichten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/19-1> (aufgerufen am 29.03.2024)