Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914

Abschnitt 17: Eroberung der Stadt Roeselare in Westflandern

[313-314]
An diesem Montag marschierten wir denselben Weg wieder vorwärts, den wir gestern zurückgekommen waren. Vorbei wieder an den schon bekannten Weghäusern, an den Windmühlen, die zahlreich ringsum träge ihre weiten Flügel drehten. Wohin ging der Marsch?! Alle möglichen Vermutungen; der Kompaß zeigte westnordwestliche Richtung. ... Kein Rasten; Dorf um Dorf und Stadt durchzogen wir, und das Pflaster der Straßen wurde uns wieder so recht zum „Vergiß-mein-nicht- Pflaster". Dichter wurde das Gedränge auf der Straße; unser Regiment schob sich eilig nach vorn an zahlreichen Proviant- und Munitionskolonnen vorüber: fortwährend sausten Motorräder der Ordonnanzen an uns vorüber. „Heute gibt's etwas", das fühlte jeder von uns. Da auf einmal gegen Mittag — wir hielten gerade vor einem größeren Orte, Rumbeke1, - ein lautes Knattern in der Luft ... und ehe wir's noch recht versahen, surrt's über uns heran ein feindlicher Flieger, und nicht weit davon ein zweiter. ... Schon wird allerorten ein mächtiges Feuer auf jene droben in [S. 314] den Lüften abgegeben, selbst Artillerie sendet einige Schrapnells hinauf. Doch alles umsonst: ruhig ziehen sie ihre Kreise und machen ihre Aufnahmen von unserm Anmarsche und verschwinden....

Wieder setzen wir uns in Marsch; wir hören dumpfen Kanonendonner. ... Die ...er vorwärts! und eilig geht's dem immer deutlicher werdenden Artilleriekampfe entgegen. Eine letzte Rast am Ausgang eines Städtchens. Es ist nachmittags 3 Uhr. Wir sind eigentlich schon sehr, sehr müde! Aber die Spannung, die Erregung. ... Da kommt ein Motorrad von der Spitze: „Die ... erliegen schon im Feuer!" — Ein Hurra! geht durch unser Bataillon, das die Spitze des Regiments ausmacht: In der Tat, wir glaubten schon Infanteriefeuer zu vernehmen, „'s geht gegen Engländer!" — „Die wollen wir schon dreschen!" — Viele schreiben einen kurzen Gruß nach Hause, um ihn der Feldpost zu geben, die drüben mit ihrem grauen Auto hält. — Vorwärts! durch all das Gedränge; vorwärts! Zum Kampf! Immer näher das Getöse. ... Vor uns ein kleiner Ort, den noch durcheilt und der Kampf muß uns aufnehmen. Unser Bataillon macht sich fertig: Seitengewehr pflanzt auf! Unser Hauptmann erklärt kurz die Lage: Die Stadt Roulers2 ist vom Feinde, der stark durch Franktireurbanden unterstützt wird, besetzt; er ist zu werfen, wir halten den linken Flügel unserer Front. In den Straßen ist Haus für Haus abzusuchen, wer mit Waffen in der Hand angetroffen wird, ist als Feind zu betrachten. ...

Wie unsere Bajonette blitzten! ... Vorwärts! Durch den kleinen Ort durch aufs freie Feld. . .. Die Kompagnien gehen in Gefechtskolonnen vor. Ein Knattern und Rattern, ein Höllenlärm füllt die Luft und Schlag aus Schlag aus den Feuerrohren der Artillerie. Und von drüben kommt's angezischt: Ssss — Ssss - Überall in der Lust kleine graue Wölkchen .. . jetzt nicht weit von uns: Schichsch — ein Ruck Bum! — ein Feuerschein in der grauweißen Wolke (einer meinte, ein Flugapparat sei in Brand geschossen!) ... Schrapnells! Noch lagen wir nicht im eigentlichen Feuer, und so konnten wir mit einiger Ruhe das schaurig schöne Bild genießen, vor uns Roulers, in das unsere Artillerie ihre Grüße sendet. ... Schon gehen die Häuser in Brand auf und züngelnd und lohend schlagen Flammen aus den dichten grünlichen Rauchmassen, die zu schwer sind, als daß sie frei in die Lüfte steigen könnten, in undurchdringlichen Wolken über alles sich hinwälzen. Von links drängen wir vor. Die ersten Häuser sind leer. Rechts eine Fabrik, aus der ein rasendes Feuer fällt. Schon stürmt Infanterie, wir greifen um mächtigem Feuer in des Gegners Flanke... er weicht; die Fabrik ist unser. ... Hinein in die Stadt.... Aber die Straßen sind verbarrikadiert: Wagen sind aufgetürmt, das Pflaster aufgerissen. Was hindert's, wir klettern darüber weg, ohne daß uns der Feind mit seinem wahnsinnigen Schießen die geringsten Verluste beibringt: alle Geschosse gehen über uns weg. ... Im Ort wird der Kampf immer wilder. ... Ganze Straßenzüge brennen, und dennoch wehren sich die Banditen in ihnen bis zum Letzten. ... Jeder Schritt wird erkämpft. Die zahlreichen Kirchtürme speien sprühend Maschinengewehrfeuer, bis unsere Artillerie den Hauptturm zusammenschießt. ... Das Bild, wie der in sich zusammenbrach! ... Und ebenso sind ganze Straßenviertel zusammengeschossen worden, daß Infanterie vorkommen kann. ...


  1. Rumbeke, heute Teil der belgischen Stadt Roeselare, Westflandern.
  2. Französischer Name für die Stadt Roeselare, Westflandern

Personen: Weidemann, Wilhelm
Orte: Rumbeke · Roeselare
Sachbegriffe: Windmühlen · Proviantkolonnen · Munitionskolonnen · Motorräder · Flugzeuge · Artillerie · Schrapnells · Kanonendonner · Infanteriefeuer · Engländer · Autos · Franktireurs · Bajonette · Maschinengewehre · Zerstörungen
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Weidemann, Aus dem Tagebuche eines Kasseler Kriegsfreiwilligen, 1914, Abschnitt 16: Eroberung der Stadt Roeselare in Westflandern“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/138-17> (aufgerufen am 19.04.2024)