Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Frieda Zölzer, Die Mobilmachung und die ersten Kriegswochen in Buchenau, 1914

Abschnitt 5: Wirtschaftliche Folgen des Kriegsbeginns

[Sp. 274] Inzwischen war auch unsre Krankenschwester in ein Militärlazarett abgerufen worden und somit waren unsere Kranken verwaist. Von einschneidender Bedeutung für das wirtschaftliche Leben in unserer Gegend war auch die Einstellung des ganzen Betriebs auf unseren Hüttenwerken. Die Karlshütte1 feierte seit 1. August und mancher Familienvater unseres Dorfes, der dort guten Verdienst fand, sah mit Sorge in die Zukunft. Zwar konnten sehr viele in der Landwirtschaft arbeiten; denn hier war jede Hilfe willkommen. Mußte doch am 16. August auch noch ein Teil unsers Landsturms einrücken, lauter Familienväter, die zu Hause so sehr nötig waren. Doch was konnte alles Jammern helfen, es stand zuviel auf dem Spiele. Ein rechtes Gottesglück für uns alle war das anhaltend schöne Erntewetter im ganzen August; die Frucht konnte schöner denn je geerntet werden, dafür müssen wir unserem lieben Vater im Himmel doppelt dankbar sein. Auch das geschäftliche Leben unseres sonst so gewerbefleißigen Ortes stockte fast vollständig. Unsere beiden Metzger, Bäcker, Schuhmacher, Spengler usw. mußten einrücken in die Reihen der Vaterlandsverteidiger. Die Frauen mußten mit jungen Gesellen oder Lehrjungen die Geschäfte notdürftig weiter betreiben. Eine Rekrutenaushebung, welche schon während der Mobilmachung stattfand, mußte uns im Herbst noch weitere tüchtige Kräfte aus der Landwirtschaft entziehen, grade wo die bevorstehende Herbstbestellung der Felder, die erste nach der beendeten Zusammenlegung in unsrer Gemarkung, eine größere Umsicht und Arbeit erforderte. Da wurde es denn jedesmal mit Freuden begrüßt, daß unsere Landstürmer, meistens Landwirte, aus dem nahen Marburg, wo sie noch im Quartier lagen, so oft in Urlaub kommen und ihren Leuten mit Rat und Tat zur Seite stehen konnten. Gelungen sah es aus, als sie in der ersten Zeit noch in Zivil, mit alten Feldmützen und der Landsturmbinde um den Arm ankamen, später aber schon in hübschen, feldgrauen Uniformen steckten.

Inzwischen hatten in diesen Augustwochen unsere Heere schon ihren blutigen Siegeslauf begonnen, und ein großer Augenblick war es für unser Dorf, als zum erstemale die Glocken einen großen Sieg einläuteten, und die „Katzenköpfe"2 der Karlshütte mit lautem Donnern sich mit dem Glockengeläute vermischten. Aber in den Siegesjubel und die Siegeszuversicht mischten sich auch sofort die bangen Fragen: Wer wird von den Unseren dabei gewesen sein? Denn die amtlichen Berichte waren knapp und auch unsere Soldaten durften in der ersten Zeit nur das Nötigste berichten. Doch gingen, Gott sei‘s noch heute gedankt, die ersten Wochen vorbei, ohne daß eine schlimme Botschaft aus dem Felde eintraf. Unser Herr Pfarrer hatte, der allgemeinen Stimmung Rechnung tragend, sofort bei Beginn des Feldzuges jeden Donnerstag eine Kriegsgebetstunde angesetzt und diese Gottesdienste wurden, trotz der drängenden Feldarbeiten, stets gut besucht. Von der auch in Buchenau sofort nach Ausbruch des Krieges einsetzenden Kriegsfürsorge und Sammlung für das Rote Kreuz soll in einem weiteren Bericht gesprochen werden.


  1. Die Carlshütte südwestlich von Buchenau.
  2. Kleine, zum Schießen bei bestimmten Anlässen verwendete Geschütze.

Personen: Zölzer, Frieda
Orte: Buchenau · Carlshütte · Marburg
Sachbegriffe: Krankenschwestern · Lazarette · Hüttenbetriebe · Arbeitsmangel · Arbeitslosigkeit · Landsturm · Erntearbeiten · Handwerker · Rekruten · Mobilmachung · Landsturmbinden · Feldgrau · Glockenläuten · Siegesmeldungen · Kriegsbetstunden · Gottesdienst · Kriegsfürsorge · Rotes Kreuz · Pfarrer
Empfohlene Zitierweise: „Frieda Zölzer, Die Mobilmachung und die ersten Kriegswochen in Buchenau, 1914, Abschnitt 10: Wirtschaftliche Folgen des Kriegsbeginns“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/4-5> (aufgerufen am 25.04.2024)