Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917

Abschnitt 6: Wirtschaftlicher Erfolg Deutschlands als Weltmacht

[14-16] Was hat das für einen Sinn? Es war ein Aufruf an unseren Unternehmungsgeist. Unsere Schlote rauchen; unsere Hochöfen glühen; unsere Industrie liefert unübertreflich gute Waren: Maschinen, Farbstoffe, Chemikalien, Instrumente, Porzellan, Lackleder, Textilwaren usw. Unsere Handelsflotte muß wachsen, um die Ware weit hinaus übers Meer zu tragen, Absatzgebiete zu suchen; dafür handeln wir von draußen die unentbehrlichen Rohstoffe, Kautschuk, Jute, Baumwolle usw. ein. Die Kriegsflotte ist dafür da, unsere Häfen zu sichern. Erst so lohnt sich der deutsche Fleiß, lohnt sich unsere Erfindungsgabe. Dadurch kommt Reichtum ins Land; dadurch ist schon der Reichtum ins Land gekommen. Und weil wir dadurch reicher geworden sind, ist das ganze deutsche Haus immer wohnlicher geworden. Die Auswanderung hat stark abgenommen; es ist die Hebung der Fabrikarbeiterschaft möglich geworden durch Steigerung der Löhne, Unfallversicherung, Altersversorgung, [S. 15] und es ist bei uns dahin gekommen, daß die Familien der sogenannten arbeitenden Klasse viel besser und gesunder leben können als in dem reichen England, das mit den Milliarden um sich warf, aber für seine Arbeiterschaft unverantwortlich schlecht gesorgt hat.

Aber das Wort: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser" bedeutet noch mehr. Millionen Deutscher leben in dem fernen Ausland, und mit ihnen wollen wir dauernd Fühlung haben, ihr Nationalgefühl stärken und neu erwecken. Sie dürfen uns nicht verloren gehen. Nur hundert Jahre brauchen wir zurückzudenken: da stand es noch kläglich um Deutschland; die Vergewaltigung durch die Franzosen hatte es so heruntergebracht: Machtlosigkeit, Zaghaftigkeit, hoffnungslose Armut, Mangel an Arbeit, Mangel an Großbetrieb. Da begannen die Massen-Auswanderungen und rissen nicht ab. Ich denke nicht nur an die Schwaben und Sachsen, die in Scharen nach Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Süd-Rußland wegzogen und dort ganze deutsche Bauernschaften gründeten (und sie haben dorthin die Kultur getragen). Ich denke an Uebersee: Nordamerika, Californien, Brasilien, Australien. Unsere Auswanderer wurden dort seßhaft, wurden dort vielfach wohlhabend und zogen alle Jahre immer weitere Massen nach. Diesen deutschen [S. 16] Auswanderern und ihrer tüchtigen Arbeit verdanken jene fernen Länder unermeßlich viel; sie verdanken es ihnen, aber sie danken nicht. So brachten die deutschen Bauernschaften den Weizenbau, den Zuckerbau nach Queensland in Australien, und ihre Dörfer dort haben noch heute deutsche Namen, Steglitz, Heidelberg, Marburg usw. Den Weinbau trugen sie aus unserer Pfalz, von unserer Mosel in das weltenferne Californien am Stillen Ozean, nach der anderen Seite der Erdkugel, die Bierbrauerei nach China und Japan.

Es ist klar, daß sich unser Handel, ganz abgesehen von unseren Kolonien in Afrika, auf diese 30 Millionen Deutsche im Ausland (oder sind es noch mehr?) trefflich stützen könnte. Das ist ein Großdeutschland, das weit übers Meer hinausgreift, aber nur auf dem Verkehr beruht und keinen der auswärtigen Staaten vergewaltigt.


Personen: Birt, Theodor
Empfohlene Zitierweise: „Theodor Birt, Vor der Entscheidung! Lazarett-Ansprache, 1917, Abschnitt 6: Wirtschaftlicher Erfolg Deutschlands als Weltmacht“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/119-6> (aufgerufen am 20.04.2024)