Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Kriegsgedichte in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), Juli - September 1914

Abschnitt 12: Theodor Birt, Kaiser Wilhelm plant ganz heiter (Gedicht)


Kaiser Wilhelm plant ganz heiter

Kaiser Wilhelm plant ganz heiter
Kieler Woche und so weiter.
Da erschallt's in seine Ruh':
Oestreichs Kronprinz ward gemeuchelt,
Serbien tat's, obschon es heuchelt,
Und der Russe lacht dazu.

Diese Serben! Dies Erfrechen!
Oestreich rüstet, sich zu rächen,
Doch der Zar beginnt zu droh'n.
Und im selbigen Momente
Kommt auch Frankreichs Präsidente,
Der Filou, zum Zaren schon.

Und er spricht: Hier sind Millionen,
Hau' jetzt drein, ich will dir's lohnen,
Du bist arm, doch ich bin reich.
Denn für jeglichen Soldaten
Zahl' ich hundert Golddukaten,
Aber rüste, rüste gleich.

Niklaus nennt sich der Gebieter
Der glücksel'gen Moskowiter,
Wo man jenen Branntwein brennt,
Den man schluckt bis zu Delirien,
Bis man fort muß nach Sibirien
Unterm Knutenregiment.

Niklaus wimmert süßlich heiser:
Wilhelm, du bist Friedenskaiser,
Mach', daß Oestreichs Waffen ruh'n.
Ewig dank' ich dir's. Ein Greuel
Ist mir jedes Kriegsgeheuel.
Wilhelm schreibt: Das will ich tun.

Doch der Niklaus, ganz verlogen,
Hatte längst herangezogen
Sein verwünschtes Russenpack.
Deutschland ahnt noch nichts; da standen
Links mobil Franzosenbanden,
Rechts der schmutzige Kosak.

Denkt der King: „Das muß ich nutzen,
Wilhelm mal was auszuputzen.
Denn der Deutsche wird zu fett.
Darum kann ich ihn nicht lieben;
Gern wär' ich neutral geblieben,
Wenn er keine Flotte hätt'.

Sonntags bet' ich stets andächtig,
Drum ein bißchen niederträchtig
Darf ich in der Praxis sein.
Wie die Deutschen werden zittern,
Wenn sie unsre Dreadnoughts wittern!
Für die Serben tret' ich ein."

Kaiser Wilhelm, edler Ritter,
Nun steh' auf wie Ungewitter,
Donnernd schall' es: Drauf und dran!
Lug und Trug an allen Enden
Du stehst da mit reinen Händen.
Zu den Waffen, Roß und Mann!

Oestreich hilft, und eng verwachsen
Kämpfen Preußen, Bayern, Sachsen,
Die im Sturm zur Grenzwacht ziehn.
Das Gewehr reißt an die Backe.
Vorwärts, vorwärts zur Attacke!
Flieger hoch, hoch Zeppelin!

Die Ulanenlanzen blitzen.
Und es rasseln die Haubitzen,
Unsre Flotte dampft — Hurra!
Mögen alle Serben sterben,
Geh' das Russenreich in Scherben,
Frankreich auch, Halleluja!

Eines soll mich nur verlangen,
Ob wir nicht den Niklaus fangen?
Ob wir auch nach England gehn?
Unser Kaiser, den wir lieben.
Der sich freut an deutschen Hieben,
Sagt der „ja", dann soll's geschehn.

Th. Birt


[Veröffentlicht in der Oberhessischen Zeitung vom 22. August 1914]


Personen: Birt, Theodor · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser · Nikolaj II., Russland, Zar
Orte: Russland · England · Frankreich · Österreich · Serbien
Sachbegriffe: Kriegsgedichte · Oberhessische Zeitung · Nationalismus
Empfohlene Zitierweise: „Kriegsgedichte in der Oberhessischen Zeitung (Marburg), Juli - September 1914, Abschnitt 14: Theodor Birt, Kaiser Wilhelm plant ganz heiter (Gedicht)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/118-12> (aufgerufen am 25.04.2024)