Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919

Abschnitt 5: Meldungen von der Marneschlacht, erste Gefallene

[15-17] Eins muß ich allen unsern ausgezogenen Kriegern nachsagen, den Jünglingen, den Reservisten, auch den Verheirateten unter der Landwehr u. unter dem Landsturm: [S. 16] Sie sind ohne Furcht, voll Siegeszuversicht in den Krieg gezogen mit dem heiligen Versprechen, zu tun, was nur in eines Menschen Kraft steht, Deutschland zu retten. Ich sah arme verheiratete Domänen-Arbeiter so freudig ziehen wie unsere Handwerker, Beamte u. Bauern. Der Ausspruch des Kaisers war schon richtig am 4. Aug. 1914: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche."

Im August u. September dauerte der große Siegeszug unserer Truppen an durch Belgien u. Frankreich. Oft läuteten unsere Glocken zu den Siegen. Unsere Soldaten standen an der Marne nicht weit von Paris.

Da - am 10. Sept. - sagte unser Heeresbericht: Die Stadt Reims liegt im Bereich unserer Geschütze. Da ich aber wußte, daß unser Heer schon früher durch Reims nach Frankreich hineingezogen war, wurde ich stutzig u. ahnte etwas Schreckliches, einen Rückzug der Unseren. Bald danach wurde der Rückzug bekannt gegeben. O wie schade! Was bedeutet das für den ganzen Krieg? Ist er für uns verloren? Wieviel Verlust haben wir an Gefangenen u. Verwundeten gehabt? Das waren die bangen Fragen, die mich bewegten.

Vom 26. - 29. Aug. hatten Hindenburg u. Ludendorf die Russen vernichtend geschlagen bei Tannenberg. Nach solchem Sieg wird die Hoffnung auf den Endsieg doch nicht aufgegeben. Der Verlauf der weiteren Kämpfe im Westen u. Osten ist bekannt. Ich berichte nicht darüber.

Aber am 29. Nov. kommen junge Leute aus Oberschlesien hierher, die als wehrfähig an der Grenze Rußlands in die Hände der etwas vordringenden Russen geraten könnten. In unserer Gegend werden sie einquartiert. Zu uns kommt ein junger katholischer Lehrer mit Namen Skotcylas; er ist 21 ½ J. alt u. übernimmt die Unterrichtsstunden von meinem Kollegen Karl Gerhard, der nach Hagen bei Pyrmont versetzt wurde, wo kein Lehrer mehr war.

Am 1. Dez. kommt Nachricht, daß Reservist Karl Schäfer Drude durch Bauchschuß verwundet wurde am 11. 11. 14 bei dem Sturmangriff bei Capellerie. Am 12. 11. starb er im Lazarett Comines an der belgisch-französischen Grenze. Er liegt begraben in französisch Comines. Karl Schäfer war der Sohn des Landwirts Heinrich Schäfer Drude vor dem Tor. Karl war der Reservist, der am Abend der Kriegserklärung im Rathaus so mutig u. fröhlich war.

Sonnabend, den 5. Dez. werden in unserer Stube in der Schule 25 Liebesgabenpakete an die Krieger unseres Ortes verpackt. Der Inhalt der Pakete war: Strümpfe, Kopfschützer, Pulswärmer, Leibbinden u.s.w. Die Sachen waren von den Landauer Mädchen u. Frauen im Schulsaal an den Winterabenden gestrickt worden. Zigarren, Backwerk u. ein Tannenzweiglein kamen mit in jedes Päckchen sowie ein Kärtchen mit den Worten: Im Namen der Landauer jungen Mädchen u. des Frauenvereins senden eine Weihnachtsgabe u. viele herzliche Grüße Frau Pastor Striepecke u. Frau Lehrer Höhle.

Am 7. Dez. reist Kollege Skotcylas wieder nach Hause. Er bedankt sich herzlich für die freundliche Bewirtung u. liebevolle Pflege u. sagt: „Auf Wiedersehen." Das ist der neue Abschiedsgruß statt des französischen „Adieu". Aus der Anordnung der Heimkehr der Oberschlesier schließen wir, daß die Kämpfe im Osten für uns günstig stehen. Abends wird bekannt, daß Lods von unsern Truppen genommen wurde. [S. 17]

Am 26. Dez. kommt die Nachricht, daß Karl Berges Inf. Reg. 83 nach Verwundung in Polen gestorben ist im Lazarett Konin. Das ist das 2. Kriegsopfer aus Landau.


Personen: Höhle, Heinrich · Schäfer, Karl · Berges, Karl · Skotcyclas, Lehrer · Gerhard, Karl · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser · Hindenburg, Paul von · Ludendorff, Erich
Orte: Landau · Belgien · Frankreich · Marne · Paris · Reims · Tannenberg · Oberschlesien · Russland · Hagen (Bad Pyrmont) · Capellerie · Polen · Comines · Lodz · Konin
Sachbegriffe: Reservisten · Landwehr · Landsturm · Marneschlacht · Kriegsgefangene · Verwundete · Russen · Schlesier · Lehrer · Lazarette · Liebesgaben · Frauen · Weihnachtspakete · Infanterie-Regiment Nr. 83
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919, Abschnitt 13: Meldungen von der Marneschlacht, erste Gefallene“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/15-5> (aufgerufen am 29.03.2024)