Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919

Abschnitt 2: Verkündung der Mobilmachung in Landau

[12-13] Freitag abends, 31. Juli geht Kollege Gerhard auf die Post. Er erhält einen Brief, den er nach Hagenau i. Elsaß-Lothringen geschickt hatte zurück. Das ist ein schlimmes Zeichen. Der Kriegszustand ist erklärt. Christian Behr, Kilmer gegenüber der Kirche erhält eine Einberufungskarte. Ich las sie. Er selbst bürstet seinen Anzug ab u. macht sich bereit zum Abmarsch nach Arolsen. Ludwig Berghöfer u. Karl Merten (Hesselbein) sind auch einberufen. Das ist der Jahrgang, der vorigen Herbst vom Militär abging. Frau Behr weint. Am Abend fahre ich mit Karl Rettberg nach dem Bahnhof Arolsen, wo Schornsteinfegermeister Pfeiffer sagt: „Die Kriegserklärung wird stündlich erwartet". Der Stationsvorsteher erklärt auf meine Frage, daß ihm noch keine Befehle über Mobilmachung zugegangen sind. In Arolsen ist alles still. Die Soldaten werden in der Kaserne zurückgehalten. In Landau gehe ich abends in die Gastwirtschaft zum Rathaus. Die Reservisten aus Landau singen. Karl Schäfer Drude steigt auf den Tisch und hält eine kurze Rede: Die Franzosen sollen Schläge haben. Wilhelm Wittmer Förster sagt mir, der Fürst in Arolsen hätte den Sonnabend als den 1. Mobilmachungstag bezeichnet.

Freitag abend singen die Reservisten im Rathaus bis 1 Uhr.

Sonnabend, den 1. August. Wir lassen durch die Kinder den Kirchhof reinigen. Es ist keine Stimmung zum Unterrichten. Deutschland hat an Rußland ein Ultimatum gerichtet. Es weiß niemand, wann es abläuft. Die Zeitungen bringen keine Klarheit.

Nachmittags gehe ich mit Irmi Budde auf der Wolfhager Straße hinter den Zäunen her. Erheber Berges u. Konrad Behr (Kilmer) fragen mich nach dem Kriege. Ich sage: „Es ist nichts bekannt." Dabei denke ich, daß der finstere Kriegsschatten vorbeizieht. Wir sind unter Neumanns Scheune, da, wo der Weg von der Straße nach dem Hangelbirken abführt, als der 1. Ton der großen Glocke (Feuerglocke für auswärtigen Brand) an mein Ohr schlägt um 6 Uhr 40 Min. Er verkündet mir mit eigentümlich klagendem Klang die Mobilmachung. Ich werde diese Stimme nie vergessen. Im Laufschritt eile ich nach Hause. Ich frage Willi Göbel, der Roggen an der Straße aufstellt: „Müssen Sie auch mit?" Er antwortet lakonisch u. mutig: „Allemal." In der Stadt sind alle erschrocken. Für 8 Uhr abends wird Kirche u. Abendmahl für die Ausziehenden bestimmt. Obwohl [S. 13] noch viele draußen im Felde sind um 7 – ½ 8 Uhr, ist das Gotteshaus eine Std. später mit Andächtigen gefüllt. Während der packenden Predigt des Herrn Pastors Karl Striepecke vernimmt man das leise Schluchzen der Frauen. Die Wehrpflichtigen gehen mit ihren Frauen u. Eltern zum hl. Abendmahl. Zum Ausgang spiele ich auf der Orgel das alte Kampflied Luthers: „Ein feste Burg ist unser Gott." Die Gemeinde singt kräftig mit. Um 10 Uhr abends ist die würdige Feier beendet.

Am selben Abend wurde noch durch die schrill klingende Ortsschelle die Mobilmachung ortsüblich verkündet. Der 1. Mobilmachungstag ist der 2. August. Der 10. Tag der 11. August.


Personen: Höhle, Heinrich · Gerhard, Karl · Behr, Christian · Berghöfer, Ludwig · Merten, Karl · Rettberg, Karl · Pfeiffer · Drude, Karl · Wittmer, Wilhelm · Stripecke, Karl · Göbel, Willi · Budde, Irmi · Berges · Behr, Konrad
Orte: Landau · Hagenau · Elsass-Lothringen · Arolsen
Sachbegriffe: Einberufung · Kasernen · Soldaten · Gastwirtschaften · Reservisten · Kriegserklärung · Mobilmachung · Gottesdienste
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Höhle, Kriegstagebuch eines Lehrers aus Landau, 1914-1919, Abschnitt 11: Verkündung der Mobilmachung in Landau“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/15-2> (aufgerufen am 19.04.2024)