Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918

Abschnitt 4: Erste Siegesmeldungen, Tod des Großvaters

[39-40] Tatsächlich häuften sich auch zunächst die Siegesmeldungen aus Belgien und Frankreich. Zum Zeichen der Freude, des Stolzes und des Dankes wurden die Kirchenglocken geläutet. Das wiederholte sich bei jedem Erfolg. Ich höre jetzt noch Willem sagen: "Das gefällt mir gar nicht. Es kommt weniger darauf an, einzelne Tagessiege zu erringen, sondern den Krieg erfolgreich abzuschließen, und daran kann ich nicht glauben.”

[S. 40] Im Osten drangen die Russen in Ostpreußen ein, viele befürchteten, daß diese sich wie eine Dampfwalze vorwärtsbewegen würden. Damals brachte ihnen der Generalfeldmarschall von Hindenburg in Zusammenarbeit mit dem Strategen Ludendorff eine vernichtende Niederlage bei. Damit wurde die Gefahr im Osten als beseitigt betrachtet. Dieser Erfolg bescherte Hindenburg eine außerordentliche Popularität, die bei vielen erst getrübt wurde, als er die Herrschaft von Hitler 1933 legalisierte.

Im Westen verlief das Kriegsgeschehen nicht so erfolgreich wie erwartet. Während die heimische Presse davon sprach, daß die deutschen Truppen so weit vorgedrungen seien, daß weittragende Geschütze (120 km) Paris erreiche würden, brachen die Siegesmeldungen plötzlich ab. Der Vorstoß der Deutschen war gestoppt, und sie waren an einzelnen Frontabschnitten zurückgeschlagen worden. Der Stellungskrieg und eine ungeheure Materialschlacht mit dem Verlust ungezählter Menschenleben begann.

Willem hatte es kommen sehen, aber er hat das Geschehen nicht weiter verfolgen können, denn er starb überraschend im November 1914 nach einer Leistenoperation. Ihm verdanke ich es in erster Linie, daß ich alles, was die Erziehung zum Krieg betraf, ablehnte. Nie erhielt ich irgendein Schießzeug, nicht einmal ein kleines Pistölchen, mit dem sogenannte Blättchen durch Aufschlag knallend gezündet wurden. Ich habe nie mit Pulver gefüllte Stopfen verschossen oder zu Neujahr ”Katzenköpfe”. Es sollte den Anfängen gewehrt werden. Außerdem erhielt ich nie Bleisoldaten oder Formen und Blei zum Gießen derselben, auch nie kleine Kanönchen oder später ein Luftgewehr. Nur einmal im zweiten Weltkrieg schoß ich im Volkssturm 1945 vier Patronen ab und erfüllte da mit 29 Zählern - das waren die drei höchsten Ergebnisse - mein Soll. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, daß Waffenbesitz nicht unbedingt Sicherheit schafft, denn mit den eigenen Waffen wurde oft Schlimmes angerichtet.


Personen: Lenz, Willem Daniel · Hindenburg, Paul von · Ludendorff, Erich · Hitler, Adolf · Binde, Erwin
Orte: Belgien · Frankreich · Russland · Paris · Ostpreußen · Sechshelden
Sachbegriffe: Siegesmeldungen · Glockenläuten · Stellungskrieg · Waffen
Empfohlene Zitierweise: „Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918, Abschnitt 2: Erste Siegesmeldungen, Tod des Großvaters“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/14-4> (aufgerufen am 18.04.2024)