Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918

Abschnitt 2: Großvater Willem als Kriegsgegner

[37-38] Großvater Willem verabscheute den Krieg

Völlig anders eingestellt war mein Großvater mütterlicherseits, der Willem Daniel Lenz, der mit uns im Haus zusammen lebte. Er war als Schuhmacher und Landwirt selbständig. Außerdem bekleidete er das Amt eines Fleischbeschauers, d. h., daß er von allen geschlachteten Kühen, Kälbern und Schweinen Proben entnehmen und sie mit dem Mikroskop untersuchen mußte. Dafür bekam er eine bestimmte, amtlich festgesetzte Gebühr.

Wie das Mikroskop funktionierte, erklärte er mir schon sehr früh; ich war wohl gerade vier Jahre alt. Es freute ihn, daß ich mich dafür interessierte. Die Fleischstückchen, die er bei Hausschlachtungen oder in der Metzgerei entnommen hatte, schnitt er in winzige Teile und legte sie auf ein Glasplättchen. Dadurch, daß er ein weiteres Glasplättchen darauf drückte, wurden die Proben plattgedrückt und größer und durchsichtiger. Dann schob er das doppelte Plättchen unter das Mikroskop und stellte durch Drehen die richtige Entfernung zum Schauen ein. Darauf ließ er mich auch hineinschauen und erklärte mir das, was ich sah, unter anderem die gefährlichen Trichinenlarven. [S. 38]

Bei Willem überwog in den Julitagen 1914 die Sorge, daß ein Krieg ausbrechen würde. Ganz abgesehen davon, daß er jeden Krieg streng verurteilte, sah er voraus, daß wir einen Zweifrontenkrieg erleben würden, den er nicht für gewinnbar hielt. Meine Mutter dachte ebenso, ebenso mein Vater und meine Onkel, Mutters Brüder.

Mit diesem Großvater habe ich viel zusammengearbeitet. Beim Pflügen, wir nannten es "Ackern”, mußte ich die Kühe führen und nach jeder Furche auf den Gewannwegen wenden. Dabei erinnere ich mich an einen Acker auf der Hardt. Beim Ackern stieß der Pflug mehrere Male an Steine. Das knirschende Geräusch ging mir immer wieder durch und durch. Wenn wir die Steine auch entfernten, es gab jedesmal neue.

Mit Willem kam ich immer gut zurecht. Ich konnte mit ihm richtig überlegen. Wenn beispielsweise am Horizont Wolken aufzogen, fragte er mich, was ich wohl meine, ob wir die angefangene Arbeit vor dem Regenschauer noch fertigstellen könnten. Hatten wir eine größere Arbeit erledigt, erkannte er das an und bezog mich in sein Lob mit ein. Wenn wir dann zuhause ankamen, sprach er bei den Eltern von der gemeinsamen Arbeit, aber er vergaß auch nicht zu tadeln; wenn ich meine Fehler einsah, war das damit vergessen.


Personen: Lenz, Willem Daniel · Binde, Erwin
Orte: Sechshelden
Sachbegriffe: Schuhmacher · Landwirte · Fleischbeschauer · Landwirtschaft · Kriegsgegner
Empfohlene Zitierweise: „Erwin Binde, Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in Sechshelden und Dillenburg, 1914-1918, Abschnitt 4: Großvater Willem als Kriegsgegner“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/14-2> (aufgerufen am 24.04.2024)