Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Hugo Birkner, Ausmarsch und erste Kriegswochen des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 88 aus Hanau, 1914

Abschnitt 3: Ankunft an der Front und erste Kampfhandlungen

[74-75] 22.-23.8.14 „Laden und sichern“ ertönte das Kommando, als die Kompagnie in den vom Vortag noch nicht wieder trockenen Uniformen marschbereit stand. Um 7 Uhr vormittags wurde abmarschiert, die 1. Komp. an der Spitze der Division mit Sicherung, ein Offizier und zwei Gruppen, über Molinfaing in Richtung Longlier. Hier hatten die aktiven Regimenter 87 und 88 tags zuvor gekämpft, überall waren die Spuren des Kampfes zu sehen; auf den Äckern tote Pferde mit von der Hitze aufgedunsenen Bäuchen, einen üblen Geruch verbreitend, und von dort am Wegrand liegt ein toter deutscher Infanterist mit einer Zeltbahn halb zugedeckt; der Gesang der Kompagnie wird dünner und leiser und verstummt bald ganz. Durch das zerschossene Longlier mit rauchenden Trümmerhaufen geht es nach Neufchateau und nach einem kurzen Halt weiter in Richtung Petit-Voir. Vor dem Westausgang des Waldes wird Halt gemacht,der Divisionsgeistliche tritt an die Kompagnien heran und spricht ein kurzes Gebet. Am Ausgang des Waldes steht der Divisionsstab, Meldereiter und Radfahrer jagen auf der Straße vor und zurück, ununterbrochen hallt von vorn der Geschützdonner zu uns herüber. [S. 75]

Um 12.30 erhält das I. Batl. den Befehl, die Höhe 421 südlich der Straße Neufchateau – Petit Voir zu besetzen. Bereits im Vorgehen gerät die zuerst entwickelte 1. Komp. in Schrapnellfeuer, das noch heftiger wird als sie an einem kleinen Kiefernwaldstück auf der Höhe in Stellung geht. Mit kurzen Unterbrechungen muß die Kompagnie im schweren seitlichen Schrapnellfeuer bis zum Einbruch der Dunkelheit aushalten, weil die Stellung zum Schutze der hinter uns aufgefahrenen Artillerie gehalten werden muß und weil starke feindliche Kräfte im Walde vor uns gemeldet sind. Da der Schluß nach rechts verloren gegangen ist, bildet der Zugführer des 2. Zuges an Stelle des schwer verwundeten Kompagnieführers aus dem Rest der 1. Komp. und einem Teil der 6. Komp. eine Kompagnie von zwei Zügen. Um 10 Uhr abends geht diese auf Befehl des II. Btls., um besseres Schussfeld zu bekommen, etwa 300 Meter zurück und gräbt sich ein. Eine Patrouille stellt fest, dass der Wald vor uns vom Feind geräumt ist; andere Patrouillen gehen in der Nacht mit Zeltbahnen ausgerüstet vor, um die im Wald und in den Kornfeldern liegenden nach Hilfe rufenden verwundeten Kameraden zurückzubringen. Die Kompagnie hatte schwere Verluste: 8 Tote, 28 Verwundete, 12 Vermißte. Der nächste Vormittag sah uns bei der traurigen Beschäftigung, unsere Toten im Wäldchen zu begraben. Um 2.50 nachmittags setzte sich das Regiment wieder in Marsch, der über das gestrige Gefechtsfeld nach Warmifontaine und Martilly führte. Die Vormarschstraße war besät mit fortgeworfenen Gewehren, Seitengewehren, Uniformstücken und – leider – leeren Konservenbüchsen und zeigte so das Bild einer geschlagenen, in Unordnung zurückflutenden Armee. Am Westausgang von Martilly wurde ohne Zelte biwakiert. Die Nacht verlief unruhig, weil wir von Einwohnern des Dorfes beschossen wurden; einer der Franktireure wurde mit der Waffe in der Hand festgenommen und erschossen; das Haus, aus dem er geschossen hatte, wurde in Brand gesteckt.


Personen: Birkner, Hugo
Orte: Molinfaing · Longlier · Neufchateau · Petit-Voir · Warmifontaine · Martilly
Sachbegriffe: Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 88 · Infanterie-Regiment Nr. 87 · Infanterie-Regiment Nr. 88
Empfohlene Zitierweise: „Hugo Birkner, Ausmarsch und erste Kriegswochen des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 88 aus Hanau, 1914, Abschnitt 2: Ankunft an der Front und erste Kampfhandlungen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/12-3> (aufgerufen am 19.04.2024)