Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Heinrich Köhler, Der Rückmarsch des 3. Schlesischen Dragoner-Regiments Nr. 15 nach Rotenburg an der Fulda, 1918

Abschnitt 3: Demoralisierung der Truppe, Waffenstillstand

[210-211]
Die 7. Kav.Schützen-Div. wurde von der Revolution überrascht. Grobe Disziplinlosigkeiten oder Ausschreitungen waren bis kurz vor Ausbruch der Revolution bei keinem Truppenteil zu verzeichnen gewesen. Aber die vergangenen Wochen der Großkämpfe hatten die Truppen derartig mitgenommen, und die Mannschafts- und Offiziersbestände derart geschwächt, daß wir sagen müssen, die Truppe war, als die Revolution über sie hereinbrach, demoralisiert, ihre Nervenkraft war erschöpft.

Wie sich nun diese Revolution bei unserm Regiment zunächst auswirkte, das wollen wir lieber unerörtert lasten und den Schleier des Vergehens darüber breiten. Kann sein, daß das Gefühl, das eigene Leben gerettet zu haben, auf viele so verwirrend wirkte, daß sie vergaßen, was sie sich selbst schuldig waren. Es ist verständlich, daß viele nach so vielen Jahren der Strapazen und Gefahren und dieser quälenden Ungewißheit von einem gewissen Taumel ergriffen und fortgerissen wurden. Auch fehlten die meisten von den Leuten, die einst das tapfere Regiment gebildet hatten, sie waren gefallen, verwundet, vermißt; fremde Elemente waren an ihre Stelle getreten und nun in der Überzahl! Aber trotz alledem müssen wir uns darüber klar sein, daß unser Zusammenbruch unwürdig war unserer Toten und der eigenen Leistung.

Solange wir kämpften, wurden wir von der Welt und auch von ehrlichen, ritterlichen Gegnern bewundert, als wir die Waffen fortwarfen, wurden wir von unsern Feinden verachtet. Zu kämpfen, zu siegen und zu sterben verstanden die Deutschen, aber ihre ehrenvolle Niederlage heroisch zu tragen — das verstanden die Deutschen nicht!

Es ist wohl zweifellos richtig, daß eine überragende Persönlichkeit, ein Staatsmann großen Formats wie einst Bismarck, an der Spitze des Reiches fehlte, der es verstanden hätte, den Blick für das Erreichbare zu wahren und von der Nation zielbewußt das Höchste zu fordern. Sicher hat auch die Reichsregierung zu lange tatenlos zugesehen, wie geschickte Agitatoren in die breiten Massen den Gedanken trugen, das Ende des Krieges müsse durch einen gewaltsamen Umsturz herbeigeführt werden. Diese Gedanken wurden von der Heimat auf Heer und Marine übertragen und veranlaßten viele, sich ihrer Pflichten zu entziehen und in den großen Städten, als sicherem Unterschlupf, auf bessere Zeiten zu warten. Gerade diese Leute, die wegen Fahnenflucht oder sonstiger Vergehen und alle, die wegen Wuchers am Volke sich ihrer Verantwortlichkeit entziehen mußten, wurden Träger der revolutionären Idee, sie stürzten die alte Ordnung und schufen das Chaos. [S. 211]

Am 11. Nov. wurde der Waffenstillstand von Matthias Erzberger1im Walde von Compiègne2 mit einem revolutionierten Deutschland und einer meuternden Flotte im Rücken unterzeichnet.


  1. Matthias Erzberger, (1875-1921), Bevollmächtigter der Reichsregierung bei der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit Frankreich am 11. November 1918.
  2. Ort der Unterzeichnung des Waffenstillstillstands, Département Oise.

Personen: Köhler, Heinrich · Bismarck, Otto von · Erzberger, Matthias
Orte: Compiègne
Sachbegriffe: 7. Kavallerie-Schützen-Division · Novemberrevolution · Stimmungslage im Heer · Demoralisierung · Reichsregierung · Heer · Marine · Desertionen · Fahnenflucht · Waffenstillstand
Empfohlene Zitierweise: „Heinrich Köhler, Der Rückmarsch des 3. Schlesischen Dragoner-Regiments Nr. 15 nach Rotenburg an der Fulda, 1918, Abschnitt 9: Demoralisierung der Truppe, Waffenstillstand“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/92-3> (aufgerufen am 24.04.2024)