Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914

Abschnitt 2: Aufbruch des Regiments und Transport an die Westfront

[24-25]
Am Abend des 1. August und in der folgenden Nacht hatte die allgemeine Aufregung bereits so um sich gegriffen, daß Patrouillen auf die großen Chausseen angesetzt wurden, um Spione und Spionenautos abzufassen. Die Eisenbahnkunstbauten wurden durch Bürgerwehren besetzt und von nun an während des gesamten Aufmarsches wochenlang durch diese geschützt.

Schon am zweiten Mobilmachungstag beginnt der Abtransport des Regiments. Es reiten, von der gesamten Bürgerschaft begleitet, die stolzen Feldeskadrons durch die Straßen der Stadt zum Bahnhof, rollen die neuen Wagen der Bagagen, bespannt mit manchem bekannten Bauernpferd aus den benachbarten Dörfern zur Verladerampe. — „Deutschland, Deutschland über alles!" klang es unentwegt am Vor- und Nachmittag — aber auch manche Träne fiel! Aber weder Mann noch Frau schämten sich ihrer. Begleitet von den Klängen frischer Reitermärsche und jubelnden „Hochs" und hoffenden „Auf Wiedersehen!" fuhr Zug für Zug von dem kleinen Bahnhof ab — dem Feinde entgegen!

Noch wußte niemand, wohin die Fahrt ging. In versiegelten Kuverts hatten die Transportführer die Reiseroute in der Hand, mit der Weisung, diese erst während der Fahrt zu öffnen. Ging es gegen Rußland oder Frankreich? Die Zugrichtung enthob einen bald von allen Zweifeln — es ging nach dem Westen.

Die Reiseroute des Regiments ging über Cassel—Marburg—Gießen —Coblenz durch den Tunnel von Cochem—Trier. Die Begeisterung und Huldigung durch die Bevölkerung während der Fahrt war unbeschreiblich und reiht uns alle mit fort. Die Verpflegung auf den Bahnhöfen durch Damen des Roten Kreuzes und Vaterländischen Frauenvereins, Helferinnen und Schuljugend war aufopfernd und glänzend organisiert.

[S. 25] Schon bald tauchten auf den Bahnhöfen und Verpflegungsstationen die wildesten Gerüchte aus über feindliche Fliegerangriffe, Sprengversuche des Cochemer Eisenbahntunnels1, Erschießung des Gastwirts von Cochem usw. In übereifrigem Tatendrang übernehmen Offiziere und Unteroffiziere mit geladenen Karabinern auf den Fahrzeugwagen den ersten Fliegerschutz.

Auf der Fahrt erkrankte Oberstlt. v. Hülst so ernstlich, daß er bereits in Trier den Zug und somit schweren Herzens sein Regiment verlassen mußte, an dessen Kriegsbereitschaft er in den letzten Friedensjahren erfolgreich gearbeitet hatte, mit dem Kriegslorbeeren sich zu erobern ihm nun leider nicht vergönnt war.


  1. Die falsche Meldung vom 4.8.1914 vom angeblichen Versuch der Sprengung des Cochemer Eisenbahntunnels gehört zu den am häufigsten kolportierten Gerüchten der ersten Kriegswochen. Siehe dazu: Gattow, Walter, "Zwei Hochverräter in Cochem erschossen". In: Jahrbuch für den Kreis Cochem-Zell. – 1989, S. 156-157, 1 Abb.; Landsknecht wurde Opfer einer Intrige : Weltkrieg ; Cochemer Paul Nicolay zwei Wochen unschuldig in Haft - Bericht von Erschießung. In: Rhein-Zeitung, Ausg. C. - 67 (2014), 19.05., S. 24. - (1. Weltkrieg 1914-1918 : Die Geschichte des "Schufts von Cochem" - dem unschuldigen Paul Nicolay).

Personen: Scotti, von · Hülst, von, Oberstleutnant · Nikolay, Paul · Nikolay, Nikolaus
Orte: Hofgeismar · Kassel · Marburg · Gießen · Koblenz · Cochem · Trier
Sachbegriffe: Dragoner-Regiment Freiherr von Manteuffel (Rheinisches) Nr. 5 · Spionenfurcht · Spione · Sabotage · Eisenbahn · Feld-Eskadrons · Bahnhöfe · Pferde · Nationalhymnen · Kriegsbegeisterung · Rotes Kreuz · Vaterländische Frauenvereine · Schüle · Gerüchte · Fliegerangriffe · Cochemer Eisenbahntunnel · Offiziere · Unteroffiziere · Hochverrat
Empfohlene Zitierweise: „von Scotti, Ausmarsch und erste Kriegswochen des 5. Rheinischen Dragoner-Regiments von Manteuffel aus Hofgeismar, 1914, Abschnitt 4: Aufbruch des Regiments und Transport an die Westfront“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/90-2> (aufgerufen am 19.04.2024)