Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Topografie des Nationalsozialismus in Hessen

Erbach, Kinderfachabteilung, Landesheilanstalt Eichberg

Erbach, Gemeinde Eltville am Rhein, Rheingau-Taunus-Kreis | Historisches Ortslexikon
Klassifikation | Nutzungsgeschichte | Indizes | Nachweise | Abbildungen | Zitierweise
Klassifikation

Kategorie:

Verfolgung

Subkategorie:

Euthanasie 

Nutzungsgeschichte

Objektbeschreibung:

Als Kinderfachabteilung diente eine umfunktionierte ehemalige Frauenbaracke am nordöstlichen Rand des Anstaltsgeländes. Das Gebäude der Kinderfachabteilung verfügte über 30 Betten, einen großen Saal, zwei kleine Zimmer, ein Isolierzimmer und einen Besucherraum.

Beschreibung:

Bereits ab Mitte 1940 wurden in verschiedenen Anstalten im Deutschen Reich „Kinderfachabteilung“en eingerichtet. In diesen Einrichtungen wurden Kinder aufgenommen, untersucht und ermordet, die der Tarnorganisation „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ gemeldet wurden. Die „Kinderfachabteilung“ auf dem Eichberg war eine von zwei Einrichtungen dieses Typs im Bezirksverband Nassau. Die andere befand sich in Idstein (Kalmenhof) und wurde zum Jahreswechsel 1941/1942 eröffnet. Die Vorbereitungen für die „Kinderfachabteilung“ auf dem Eichberg gehen bereits auf den Jahreswechsel 1940/1941 zurück. Im März oder April 1941 wurde die „Kinderfachabteilung“ auf dem Eichberg eingerichtet und war bis März 1945 in Betrieb. Für den Betrieb diente eine umfunktionierte ehemalige Frauenbaracke am nordöstlichen Rand des Anstaltsgeländes der Landesheilanstalt Eichberg. Das Gebäude existiert heute nicht mehr. Anders als in anderen Einrichtungen dieser Art gab es am Eichberg damit tatsächlich eine räumlich abgetrennte „Kinderfachabteilung“. Jüngere Kinder wurden dort untergebracht, während ältere Kinder und Jugendliche ab neun Jahren bei erwachsenen Patienten auf anderen Stationen der Landesheil Pflegeanstalt auf dem Eichberg untergebracht wurden.

Die „Kinderfachabteilung“ wurde von Dr. Friedrich Mennecke, dem Anstaltsleiter der Landesheilanstalt auf dem Eichberg, geleitet. Verantwortlich für die „Kinderfachabteilung“ war jedoch Dr. Walter Schmidt, der auch stellvertretender Direktor der Landesheilanstalt war. Mennecke wurde Ende 1942 aufgrund eines Konflikts mit Fritz Bernotat zur Wehrmacht berufen und fungierte danach nur noch nominell als Direktor, während Schmidt faktisch die Leitung aller Einrichtungen auf dem Eichberg übernahm.

Während des Betriebs der „Kinderfachabteilung“ wurden mehr als 500 Kinder und Jugendliche auf dem Eichberg ermordet. Schmidt gestand im Eichbergprozess die Ermordung von 30 bis 40 Kindern und Jugendlichen. Oberschwester Helene Schürz gestand die Tötung von 30-50 Minderjährigen durch die Folgen von Morphium- und Luminalgabe. Die Ermordung der Kinder und Jugendlichen erfolgte in dem abgelegenen Isolierzimmer. Anders als bei erwachsenen Patientinnen und Patienten der Anstalten erfolgte die Tötung der Minderjährigen ausschließlich über die überdosierte Medikamentengabe, meistens durch die Gabe von Luminal. Durch die Verabreichung der Luminalspritzen starben die Kinder und Jugendlichen an Atemlähmung, Kreislaufversagen, Nierenversagen oder an einer Lungenentzündung infolge der Atemlähmung.

Mennecke und die „Kinderfachabteilung“ pflegten eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Die „Kinderfachabteilung“ sandte mindestens 86 entnommene Gehirne nach Heidelberg. Im Jahr 1942 wurden 25 Gehirne transportiert, im Jahr 1943 weitere 46 und 1944 weitere 15 Gehirne. Laut einem Schreiben von Bernotat sollen es allerdings mindestens 110 Kindergehirne gewesen sein, die auf dem Eichberg entnommen und nach Heidelberg gesandt wurden. Zwischen 1942 und März 1945 wurden mindestens 22 Kinder und Jugendliche, die in Heidelberg untersucht wurden, von dort in die „Kinderfachabteilung“ transportiert und ermordet. Mindestens drei entnommene Gehirne dieser Kinder und Jugendlichen wurden zur Untersuchung zurück nach Heidelberg gesandt.

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):

März/April 1941

Nutzungsende (späteste Erwähnung):

März 1945

Indizes

Orte:

Erbach

Sachbegriffe:

Euthanasie · Gesundheitswesen · Kinderfachabteilung · Verfolgung · Zwischenanstalten

Nachweise

Literatur:

Weblinks:

Fachtagung: "'Zwischenanstalten'. Ein besonderer Typus Anstalt im NS"? (15.11.2023)

Zitierweise
„Erbach, Kinderfachabteilung, Landesheilanstalt Eichberg“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/3539> (Stand: 18.2.2024)