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Frankfurter Karsten Voigt wird Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, 7. Dezember 1969

Auf dem Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos) in München wird der 28-jährige Frankfurter Sozialdemokrat Karsten Voigt (geb. 1941) zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Voigt ist eine der treibenden Kräfte hinter der „Linkswende“, mit der sich der SPD-Jugendverband auf dem Kongress gezielt von einer Wahrnehmung als angepasste Parteijugend distanziert und einen eigenen linksgerichteten Kurs als „sozialistischer Richtungsverband“ ankündigt. Bewusst wird dabei eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen mit der Parteispitze in Kauf genommen: man sehe es als dringliche Aufgabe des sozialdemokratischen Nachwuchses, das Partei-Establishment vor allem auf Gemeindeebene „durcheinanderzuwirbeln“, „da viele Sozialdemokraten nicht bereit seien, Kommunalpolitik unter gesellschaftspolitischen Aspekten zu betreiben“. Die Delegierten des Bundeskongresses werfen den etablierten Kräften innerhalb der SPD vor, „sich zu sehr auf kapitalistische Prinzipien eingelassen“ zu haben und „die Umgestaltung der Gesellschaft in eine sozialistische entweder überhaupt nicht oder nur lax“ zu voranzubringen.1 Zugleich gelte insbesondere die Aktivität „junger kritischer Mitglieder“ als unerwünscht und werde behindert, was in eklatantem Missverhältnis zu einer demokratisch „von unten nach oben“ ausgerichteten Willensbildung innerhalb der Partei stehe.

Der aus Elmshorn (Schleswig-Holstein) stammende Voigt studierte seit 1960 Geschichte, Germanistik und Skandinavistik an den Universitäten Hamburg, Kopenhagen und Frankfurt am Main, ist zurzeit Doktorand der Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität und bekleidet das Amt des SPD-Vorsitzenden des Frankfurter Ortsvereins Westend.

Voigts Vorgänger, der Bundestagsabgeordnete Peter Corterier (geb. 1936), der trotz seiner Absicht, nicht noch einmal für das Amt des Bundesvorsitzenden zu kandidieren, von den Delegierten förmlich abgewählt wird, wirft dem (nach Darstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom „radikalen“ Flügel der Jusos dominierten2) Kongress vor, er wolle die Partei-Nachwuchsorganisation zu einem „Brückenkopf der APO in der SPD“ machen.3

Karsten Voigt hatte bereits im Februar 1969 von sich reden gemacht, als er sich um eine Nominierung als Kandidat für den Frankfurter Bundestagswahlkreis 140 bemühte (zur anstehenden Bundestagswahl am 28. September 1969) und damit gegen den aus Obertiefenbach (Oberlahnkreis) stammenden Bundesverkehrsminister Georg Leber (1920–2012) auftrat. Die wenig aussichtsreiche Gegenkandidatur war in erster Linie als Verdeutlichung der vom linken Flügel der Jusos vertretenen Gegenposition gegen Leber gedacht, der den Notstandsgesetzen zugestimmt hatte. Voigt errang bei der Abstimmung über die Nominierung durch die Wahlkreisdelegiertenkonferenz mit mehr als einem Drittel der Stimmen immerhin einen bemerkenswerten Achtungserfolg.
(KU)


  1. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.12.1969, S. 3.
  2. Vgl. ebd.
  3. Ebd.
Belege
Weiterführende Informationen
  • [Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (Hrsg.):] Stellungnahmen des SPD-Parteivorstandes zu den Beschlüssen des Bundeskongresses der Jungsozialisten in München vom 5.–7. Dez. 1969 (Reihe Jugend, Heft 1), Bonn, 1970 [Online, eingesehen am 7.12.2012]
  • H. Thörmer/E. Einemann, Aufstieg und Krise der Generation Schröder. Einblicke aus vier Jahrzehnten. Marburg 2007, S. 12-25 [Auszug Online, eingesehen am 7.12.2012]
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.1971, S. 2: Wie in der SPD der Einfluß der Linken wächst: Lehren aus vier Parteitagen / Von Karl Feldmeyer
Empfohlene Zitierweise
„Frankfurter Karsten Voigt wird Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, 7. Dezember 1969“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1270> (Stand: 7.12.2022)
Ereignisse im November 1969 | Dezember 1969 | Januar 1970
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