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Der Publizist Karl Korn ruft zur Erhaltung des Eltviller Rheinufers auf, 24. Dezember 1964

Der Publizist und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dr. Karl Korn (1908–1991), selbst im Rheingau aufgewachsen, veröffentlicht einen flammenden Appell zur Rettung des Rheinufers in Eltville. Er nimmt damit Stellung in der seit 15 Jahren anhaltenden öffentlichen Diskussion um eine Ortsumgehung von Eltville im Rheingau, in die unter anderem die Stadtverordnetenversammlung von Eltville, der Kreistag des Rheingaukreises, das Hessische Ministerium für Verkehr und Landwirtschaft und das Bundesverkehrsministerium involviert sind. Kernpunkt des Streits ist die Frage, ob eine Umgehungsstraße entlang des Eltviller Rheinufer geführt wird oder die sogenannte Nordumgehung gebaut wird, die wertvolles Rebland zerstört.

Korn beschreibt Eltville als eine kleine und eine wunderschöne Stadt. Am Ufer des Stroms bietet es hinter einer köstlichen dreireihigen Platanenallee einen alten Baukomplex, der so schön und geschlossen wie kaum ein anderer in unserem Land erhalten ist. Das alte Martinstor ist in den Herrensitz derer von Eltz eingefügt. Das Haus zur Rose bildet gemächlich die Ecke, deren schmaler Straßendurchlaß zu dem nahen Münster aufwärts führt. Die im neunzehnten Jahrhundert hinzugebauten Villen haben Grazie und noble Proportionen und Formen. Sogar das kleine Schalterhaus der Dampfschiffahrtslinie setzt mit einem kecken Schieferdach einen lustigen Akzent. Stromaufwärts schließt sich, großartig erhalten, das Gemäuer der alten erzbischöflich mainzischen Burg und der unzerstörte gewaltige Wehrturm an, dessen zierliche spätgotische Bekrönung mit einem hellglänzenden Schieferzeltdach und vier eleganten fünfkantigen Ecktürmehen helles Entzücken bereiten. In Burghaus und Burgturm hat der Mainzer Buchdrucker Gutenberg mit seinen Gehilfen Zuflucht gefunden und Druckerpressen aufgestellt. Das Münster aus rotem Sandstein und in ockerbrauner Tönung der Wandflächen, die gotischen Giebel der Adelshäuser, deren schönstes, das der Familie von Langwerth-Simmern, den Wundern der Dulcis Francia ebenbürtig an die Seite gestellt werden könnte, Trink- und Probierstuben, in deren Wandtäfelung Delfter Kacheln eingelegt sind – Eltville hat der Kostbarkeiten genug, um den flüchtigen Besucher, falls der das Glück hat, die Stadt etwa an einem schönen Spätherbst oder frühen Wintertag zu sehen, zum Schwärmen zu verführen. Was man sonst nur noch auf den begehrten Stahlstichen zu sehen bekommt – hier ist es wirklich da, ein Stück alter, unzerstörter Kulturlandschaft am breit dahinfließenden Strom. Der Blick geht auf eine grüne, von hohen, alten Bäumen bestandene Au im Strom. Die letzten Rosen hängen noch üppig und verschwenderisch über alte Mauern. Hier ist Kontinuität, hier sind Geschichte und Natur in prachtvoller Harmonie vereint, hier ist das Land des west-östlichen Diwans. Und wenn es nun gar dem solcherart verzückten Besucher einfällt, die Eltviller Uferpromenade entlang zu gehen und sich ostwärts zu wenden, dann entdeckt er alsbald den köstlichsten Pfad am Strom entlang. Zur Linken hat er in Richtung Niederwalluf die mit Reben und Rosen bepflanzten Hänge und Mauern eleganter Herrensitze, rechts den Strom und vor sich den alten Lein- oder Treidelpfad aus der Zeit, da die Schiffe am Ufer von Gespannen geschleppt wurden.
Korn beklagt, dass nach den derzeitigen Plänen diese einzigartige Uferpromenade wie in den meisten anderen mittelrheinischen Kleinstädten durch den Bau der mindestens 17 m breiten Autoschnellstraße plattgewalzt werden soll. Damit würde nach seiner Ansicht eine der letzten intakten Uferlandschaften, aus Baum und Schilf, altem Weg und Strom, verbunden mit einer wunderbaren Bausubstanz mit Alleen und Gärten vernichtet.

Korn verweist darauf, dass man sich in Eltville zunächst gegen diese Straßenführung am Rheinufer ausgesprochen hatte, dass aber im Verlauf mehrjähriger Diskussionen immer mehr Argumente gegen die Nord-Lösung vorgebracht worden seien, so dass sich schließlich 1963 eine schwache Mehrheit für die Rheinufer-Lösung ausgesprochen habe. Nun hat ein Gutachten des Bonner Professors und Direktors des Instituts für Städtebau, Siedlungswesen und Kulturtechnik Dr.-Ing. Edmund Gassner (1908–2004) für eine weitausholende Nordumgehung plädiert. Korn sieht damit eine Lösung gefunden, die das Eltviller Rheinufer unberührt lässt und die berechtigten Interessen von Winzern und Anliegern am wenigsten berührt. Noch einmal weist er darauf hin, dass es nicht nur um eine schöne alte Stadtansicht gehe. Es geht ganz einfach um die Substanz dieses Volkes und dieses Landes. Das ist mehr als ein paar schöne Fotomotive oder Anlaß zu kunsthistorischen Reminiszenzen. Wir leben, ob Automobilhändler oder Schulkinder, ob Beamte oder Arbeiter, ob Flüchtlinge oder Einheimische von dieser Substanz. Ein Stromufer ist so kostbar wie ein Rembrandt oder ein Dom. Da regen wir uns für die Monumente von Abu Simbel am oberen Nil auf und sind bereit, Millionen zu bezahlen, daß der Menschheit kostbarer Kulturbesitz erhalten bleibe. Da aber, wo es nahe ist, wo es uns direkt angeht, wo es unser Erbe ist, das wir an Generationen weiterzugeben haben – da soll die Angelegenheit nur die Sache von ein paar Naturschützern und Denkmalpflegern sein, Querköpfen, denen man die moderne Zeit doch nie klarmachen wird?
(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Der Publizist Karl Korn ruft zur Erhaltung des Eltviller Rheinufers auf, 24. Dezember 1964“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/3788> (Stand: 24.12.2020)
Ereignisse im November 1964 | Dezember 1964 | Januar 1965
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