Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917

Abschnitt 14: II. Angriff der Russen

[59-68] […] [S. 59]
16. Juli 1916.
Am frühen Morgen, als es eben zu dämmern beginnt, greifen die Russen auf der ganzen Front an.
[…] [S. 62] Aber schon sind die Russen da, laufen am oberen Rand des Grabens entlang und werfen Handgranaten.
Dreck spritzt mir um die Ohren. Funken und farbige Flammen brennen im Auge. Ich glaube getroffen und geblendet zu sein. Nein, die Kugel hat nur die Nasenwurzel gestreift.
[…] [S. 63] Auf dreißig Meter sind sie heran. Pustomyty ist verloren.
Mit eiserner Ruhe bleibt der Major stehen und fotografiert den Verzweiflungskampf, um zu seiner späteren Rechtfertigung, die man verlangen wird, einen sichtbaren Beweis zu haben.
Dann befiehlt er: „Kehrt Marsch!"[…]

[S. 65]
Koritnica, 17. Juli.
Vom ganzen Bataillon sind neunzig Mann zurückgekommen. Weit über vierhundert sind geblieben.
Der Scharfschützentrupp ist auf fünfzehn Mann zusammengeschmolzen. Fünfundvierzig sind tot oder gefangen. Vier Maschinengewehre haben wir verloren.
Ich bin zum Sterben müde. Wir alle. Was liegt uns noch daran, daß der Regen durch die Löcher der Lehmwand klatscht und durch das zerrissene Strohdach [S. 66] der Panjebude rieselt, in der wir gedrängt nebeneinander liegen? —
Beunruhigende Nachrichten treffen ein. Höchste Alarmbereitschaft. Die Pferde stehen gesattelt und geschirrt. —
Wir werden der Verluste an Menschen und Maschinengewehren wegen herausgezogen und marschieren in der Nacht noch nach Swiniuchy, wo wir auf dem rußigen Boden einer alten Schmiede, gepeinigt von vielen Flöhen, Schlaf suchen.
Die beiden Langrohrgeschütze „Adam und Eva" werden wieder in Stellung gefahren. Als sie am sechzehnten den letzten Schuß abgefeuert hatten, sollten sie gesprengt werden, da vierundzwanzig Pferde sie nicht aus dem Schlamme herausziehen konnten. Da stellte der Feldwebel K. unsere Pferde zur Verfügung, und achzehnspännig gelang es, beide Geschütze im Infanteriefeuer zu retten. —
Auch Kolpytow und Swiniuchy bestehen nur noch den Mauern nach. Sie sind nicht mehr. Weißer Kamille und wilder Mohn blühen auf den Ruinen. —
Dunkel und trüb, wie bei uns an kalten, regengrauen Novembertagen.


Personen: Egly, Wilhelm · K., Feldwebel
Orte: Friedberg · Kolpytow · Koritnica · Swiniuchy
Sachbegriffe: Angriff · Flöhe · Ungeziefer · Photographie · Geschütze · Gräben · Handgranaten · Pferde · Ruinen · Stellungen · Tagebücher
Empfohlene Zitierweise: „Wilhelm Egly, Kriegstagebuch eines Soldaten aus Friedberg, 1916-1917, Abschnitt 8: II. Angriff der Russen“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/65-14> (aufgerufen am 23.04.2024)