Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Berichte über Drangsalierungen und rüde Behandlung beim Jungvolk, Februar 1935

Der Deutschland-Bericht des Exilvorstands der SPD schildert in mehreren Berichten Vorfälle beim Jungvolk, die die Dransalierungen von Kindern und die rüde Behandlung der „Pimpfe“ verdeutlichen:

Durch direkten und indirekten Zwang auf Eltern und Kinder versucht man auch den letzten Schüler in das Jungvolk zu pressen. Alle Mütter schimpfen darüber und befürchten die schlimmsten körperlichen Schädigungen der Kinder. Märsche von 20 bis 40 km sind keine Seltenheit, so daß kaum die Hälfte das Ziel erreicht. Die Schwächeren brechen unterwegs zusammen. Im Gefolge davon sind immer eine große Anzahl Kinder wegen Überanstrengung schwer krank. Auch nachts werden Pflichtmärsche veranstaltet. So mußten diese Jungen nachts einen Berg von einigen hundert Meter hinauf und oben eine Pflichtkontrolle passieren. Ein Junge von 7 Jahren verirrte sich und wäre ohne die Hilfeleistung eines Jägers, der sich auf Anstand befand, in einem Bergsee ertrunken. Klagt ein Junge über die Anstrengung, dann lautet die Antwort: „Schmerz ertragen macht hart.“ Bei einem größeren Treffen war der gemeinsam gekochte Reis total verdorben. Die Führung befahl, das Essen zu vergraben, und legte jedem Jungen strengstes Stillschweigen darüber auf. Die Kinder hatten den ganzen Tag nichts Warmes zu essen.

Ein besonders krasser Fall spielte sich in einem Dorf in der Nähe von Hersfeld ab. Dort hatte das Jungvolk ein Nachtlager mit Zelten bezogen. Bei der Fahne hatte der Junge eines Erbhofbauern Wache. Der Junge mußte nun austreten und ging etwas beiseite. Unterdessen nahmen andere Jungens die Fahne weg. Tags darauf hielt die Führung über den Jungen, der die Wache hatte, Gericht und verurteilte ihn zu einer Tracht Prügel wegen „Fahnenflucht“. An den Folgen mußte der Junge über acht Tage im Bett bleiben. Die fünf Erbhofbauern des Ortes nahmen daraufhin demonstrativ ihre Kinder aus dem Jungvolk und verlangten Bestrafung und Absetzung der Führung. Erfolg gleich Null. All diese Dinge rufen bei den Müttern große Erregung hervor.

Daß aber auch die Jungen selbst sich widersetzen, beweist ein Vorfall aus der gleichen Gegend. Ein kleiner Trupp sollte bei nassem, aufgeweichtem Boden „Hinlegen“ üben. Der stärkste Junge (11 Jahre) erklärte nun mit allem Nachdruck, „das mache er nicht“. Der Truppführer gab dann den sogenannten „dienstlichen Befehl“. Darauf erwiderte der Junge: „Meine Mutter ist eine arme Frau, die kann mir keine neuen Sachen kaufen. Ich lege mich nicht in den Dreck.“ Darauf blieb der ganze Trupp stehen und der Führer lief wütend weg, worauf die Jungen sich mit Fußballspiel vergnügten. Nach Ablauf der Zeit kam der Führer und brachte seine Schäfchen nach Hause. Folgen sind nicht eingetreten.
(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Berichte über Drangsalierungen und rüde Behandlung beim Jungvolk, Februar 1935“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/3935> (Stand: 10.7.2021)
Ereignisse im Januar 1935 | Februar 1935 | März 1935
Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28