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Bericht über krasse Misswirtschaft in der nationalsozialistischen Hanauer Stadtverwaltung, Dezember 1935

Der Deutschland-Bericht des SPD-Exilvorstands schildert am Beispiel der Stadt Hanau die ruinöse Mißwirtschaft der kommunalen Verwaltung, die von der NSDAP und ihren Günstlingen ausgeplündert und ruiniert wird:

In Hanau (38 000 Einwohner) setzten die Nazis nach der Machtübernahme einen Untersuchungsausschuß ein, der „die Geschäfte der Stadtverwaltung in der Nachkriegszeit einer gründlichen Prüfung unterziehen sollte“. Außerdem wurde der Abbau des Oberbürgermeisters und die Einsparung der Oberbürgermeisterstelle beschlossen.

Und was ist auch all diesen hochtrabenden Ankündigungen geworden? Der Personalbestand der Stadtverwaltung wurde durch Unterbringung alter und jüngerer Kämpfer um mehr als 20 Prozent erhöht, „verdiente“ Beamte in höhere Gehaltsstufen eingruppiert und die „eingesparte“ Oberbürgermeisterstelle mit dem gesinnungstüchtigen bisherigen zweiten Bürgermeister besetzt, an dessen Stelle ein völlig unbekannter und unfähiger „alter Kämpfer“ aufrücken durfte. Der frühere Oberbürgermeister aber hilft als Abgebauter die Pensionslasten der Stadt vermehren. Er ist jetzt der dritte Oberbürgermeister, für welchen die Stadt Hanau Pension zu zahlen hat. Von dem Untersuchungsausschuß, der die „Schuldigen der Systemzeit“ zur Verantwortung ziehen sollte, hat man nie wieder etwas gehört. Er ist sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden.

Hanau hat auch ein Theater. Bis zur Machtübernahme beanspruchte es einen jährlichen Zuschuß von 45 000 RMark. Seine Leistungen standen künstlerisch auf einer beachtlichen Höhe. Nach dem Umbruch wurde der bisherige Direktor und Pächter fortgejagt und das Institut in städtische Regie übernommen. Ein hakenkreuzlerischer Intendant wurde mit der Leitung betreut. Der neue Mann brachte in kurzer Zeit das Defizit auf 125 000 Mark und das Theater auf den Hund. Die Zahl der Abonnenten ist 1934 gegen das Vorjahr um drei Fünftel gesunken und die Tageseinnahmen waren derart, daß wiederholt die vorzeitige Schließung des Theaters erwogen werden mußte. Zeitweilig sah sich die neue Stadtverwaltung zur Zahlung der laufenden Zuschüsse außerstande, so daß das Künstlerpersonal mit Lebensmittelscheinen entlohnt und mit der Beitreibung rückständiger Abonnementsgelder beauftragt werden mußte, um sich überhaupt noch über Wasser halten zu können. Die Besucher streikten, weil ihnen das neue nationalsozialistische Kulturgut, das jetzt gepflegt wird, ungenießbar erschien. Selbst der auf die Beamtenschaft ausgeübte Zwang, Abonnements zu nehmen, vermochte den Verfall nicht aufzuhalten. Im neuen Spielplan will ein anderer „künstlerischer“ Leiter sein Glück versuchen.

Die Stadtverwaltung, in immerwährender Geldverlegenheit, war gezwungen, die vorhandenen Fonds, wie Betriebsfonds der städtischen Werke usw. im Gesamtbetrag von rund einer Million Mark für laufende Verpflichtungen zu verwenden. Die Stadtkasse erschien dann buchmäßig als Schuldner bei den städtischen Werken. Jetzt hat man diese Schulden einfach gestrichen und der Etat ist jetzt um den entsprechenden Betrag „verbessert“.
(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Bericht über krasse Misswirtschaft in der nationalsozialistischen Hanauer Stadtverwaltung, Dezember 1935“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/3936> (Stand: 20.6.2021)
Ereignisse im November 1935 | Dezember 1935 | Januar 1936
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