Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918

Abschnitt 10: Bericht vom 27. April 1917 (4)

[956] Unter den Wohlfahrtsbestrebungen aus Anlaß des Krieges hat neben der Pflege der Verwundeten und Kranken auch die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten eine besondere Bedeutung erlangt. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge ist für den Regierungsbezirk selbständig im Wege der freien Organisation unter dauernder Mitwirkung der staatlichen Behörden geregelt. Die einheitliche Leitung liegt einem Hauptausschuß unter Vorsitz des Landeshauptmanns in Hessen ob. Für die eigentliche Fürsorgetätigkeit sind in allen Stadt- und Landkreisen besondere Ausschüsse gebildet, die sich der wirtschaftlichen Förderung der Kriegsinvaliden durch Berufsberatung, Berufsausbildung, Arbeits- und Stellenvermittlung widmen. Neben allgemeinbildender Unterrichtserteilung werden in den größeren Orten besondere Fachlehrgänge für die Angehörigen des Handwerks und der Industrie, der Kaufmännischen und landwirtschaftlichen Berufe abgehalten. Ebenso sind verschiedene Lehrwerkstätten eingerichtet, besonders vorbildlich in der Königlichen Kunstgewerbeschule in Kassel und in der Krüppellehranstalt Herz-Jesu-Heim in Fulda. Auf dem Lingenberg bei Kassel wird eine nach den neuesten Erfahrungen eingerichtete Krüppel-Heil- und -Lehranstalt mit einem Stiftungsvermögen von rd. 400.000 M. von hochherzigen Spendern der Kriegsbeschädigtenfürsorge zu Verfügung gestellt. Für kriegsbeschädigte Landwirte ist zur Wiedereinarbeitung in ihren Beruf in den mit einem großen Gutsbetriebe verbundenen Anstalten "Hephata" bei Treysa ein Sammellazarett eingerichtet. Der Blindenfürsorge wurde von vornherein besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ihren Mittelpunkt bildete die Königliche Universitäts-Augenklinik in Marburg, wo auch für kriegsblinde Studierende eine Hochschulbücherei und Studienanstalt ins Leben gerufen ist. Gleichfalls in Marburg soll für Jäger und Schützen ein Invalidenheim errichtet werden, für das die Baupläne fertiggestellt sind. Für kriegsbeschädigte Offiziere und Angehörige der akademischen Berufe sind besondere Beratungsstellen gebildet.

Die Ausschüsse für Kriegsbeschädigtenfürsorge haben zugleich die Fürsorge für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen mit übernommen. Schon zu Beginn des Krieges wurde vom Bezirksverband eine Kriegsversicherung für alle Kriegsteilnehmer aus dem Regierungsbezirk eingerichtet. Zur Förderung der Erwerbstätigkeit der in die Heimat zurückkehrenaen Kriegsteilnehmer aus dem selbständigen Mittelstand und ihrer Angehörigen wurde vom Bezirksverband unter Beteiligung des Staates eine Kriegshilfskasse mit einem Stammkapital von 2 Millionen Mark begründet. Daneben wirken auf gemeinnütziger Grundlage die Kriegskreditbank in Kassel und die Kriegsdarlehnskasse in Marburg.

Nach allem haben die Kriegsbeschädigtenfürsorge und die mit ihr in Verbindung stehenden sonstigen Zweige der Kriegsfursorge unter erfreulicher, arbeitsreicher und opferwilliger Teilnahme aller Kreise der Bevölkerung im Regierungsbezirk eine befriedigende und erfolgverheißende Durchführung erfahren.


Personen: Bernstorff, Percy Graf von
Orte: Marburg · Kassel · Treysa
Sachbegriffe: Verwundete · Kriegsbeschädigte · Kriegsbeschädigtenfürsorge · Landeshauptmann · Fürsorgetätigkeit · Kriegsinvaliden · Lehrwerkstätten · Kunsthochschule Kassel · Krüppellehranstalt Herz-Jesu-Heim in Fulda · Krüppel-Heil- und -Lehranstalt in Kassel · Universitäts-Augenklinik Marburg · Hephata · Sammellazarette · Blindenfürsorge · Blindenstudienanstalt Marburg · Kriegsblinde · Kriegsdarlehnskasse Marburg · Invalidenheime · Gefallene · Kriegsversicherung · Kriegshilfskasse · Kriegskreditbank Kassel
Empfohlene Zitierweise: „Percy Graf von Bernstorff, Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Kassel an den Kaiser, 1917-1918, Abschnitt 6: Bericht vom 27. April 1917 (4)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/26-10> (aufgerufen am 16.04.2024)