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Separatisten besetzen das Landratsamt in Rüdesheim, 24. Oktober 1923

Nachdem am 21. Oktober 1923 in Aachen die „Freie und unabhängige Republik Rheinland“ ausgerufen worden ist, besetzen in Rüdesheim Unterstützer der separatistischen Staatsgründung das dortige Kreishaus. Etwa 60 bewaffnete Anhänger des Wiesbadener Staatsanwalts und Separatistenführers Hans Adam Dorten (1880–1963), der bereits 1919 als treibende Kraft eines Putschversuches in Erscheinung getreten ist, ziehen gegen 12:30 Uhr vor das Gebäude in der Grabenstraße. Angeführt wird der Trupp von einem ortsansässigen Weinhändler, den die Bewohner der Stadt bereits mit dem Spitznamen „Franzosenheimer“ belegt haben, und der sich kurzerhand zum Rüdesheimer „Bezirkskommissar“ der ausgerufenen unabhängigen Republik Rheinland erklärt.

Tatkräftig unterstützt wird die Aktion durch den französischen Kreisdelegierten der Interalliierten Rheinlandkommission (IRKO), Armand, der zuvor zahlreiche als Gegner des separatistischen Putschversuches in Frage kommende Personen ausgewiesen hat (allein in Rüdesheim über 400). Zudem lässt Armand den Zug von französischen Gendarmen und marokkanischen Spahis (Sipahis; seit 1834/40 existierende Reiterregimenter der französischen Armee, die sich aus nordafrikanischen Mannschaften rekrutieren) eskortiert. Vor dem Kreishaus proklamieren die Umstürzler die „Rheinischen Republik“, lassen die Türen des Amtsgebäudes aufbrechen und hissen auf dem Dach die horizontal in den Farben Rot, Weiß und Grün gestreifte Flagge der „Cisrhenanischen Republik“1. Die cisrhenanische Flagge wird gegen 13 Uhr auf dem Rathausgebäude aufgezogen. Am 25. Oktober besetzten die Separatisten zudem das Rüdesheimer Finanzamt und richten dort ein Zentralbüro ein. Plakate verkünden die „Rheinische Autonomie des Rheingaues“. Die Putschisten erlassen in den folgenden Tagen Gesetze und Bestimmungen, die zur Entlassung zahlreicher Beamten und Bürgermeister, zur Auflösung des Kreistages und des Kreisausschusses, zum Verbot aller Rheingauer Zeitungen und zur Beschlagnahmung sämtlicher Steuereinnahmen und Gemeindekassen führen. Für die Gemeinden des Rheingaus werden vom Bezirkskommissariat separatistische Ortskommissare ernannt. Aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Bevölkerung, die die im Kreishaus bis Januar 1924 ausharrenden Separatisten weitgehend ignoriert, und fehlenden finanziellen Ressourcen, scheitert der Putschversuch.
(KU)


  1. Die „Cisrhenanischen Republik“ sollte 1797 aus den französisch besetzten linksrheinischen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs geschaffen werden und umfasste die ehemaligen Kurfürstentümer Köln, Mainz und Trier, die Kurpfalz, sowie die Territorien der Herzogtümer Arenberg, Jülich-Berg und einige kleinere ehemalige Besitztümer und Grafschaften. Nach mehrfacher Proklamation eines unabhängigen Rheinlands durch republikanische Unterstützer der „cisrhenanischen“ Staatsgründung im September 1797 (in Rheinbach bei Bonn, in Koblenz, in Köln und in Bonn) verlor der Versuch einer Abspaltung vom Reich zur Gründung einer selbstbestimmten linksrheinischen Republik in den folgenden Wochen die Unterstützung der französischen Regierung, die nunmehr eine Annexion des Rheinlandes bevorzugte. Die „Cisrhenanische Republik“ endete im November 1797 mit der administrativen Reorganisation der linksrheinischen Gebiete nach französischem Vorbild und der Übernahme französischen Rechts.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Separatisten besetzen das Landratsamt in Rüdesheim, 24. Oktober 1923“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2013> (Stand: 24.10.2021)
Ereignisse im September 1923 | Oktober 1923 | November 1923
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