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Der Philosoph Leopold Ziegler erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt, 28. August 1929

Der deutsche Kulturphilosoph Leopold (Carl Claudius) Ziegler (1881–1958) erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main.
Die Entscheidungsfindung wird in diesem Jahr allerdings durch kontroverse Auffassungen geprägt. Dabei zeichnet sich schon bald nach der ersten Kuratoriumssitzung zur Verleihung des Goethepreises 1929 ab, dass über die Nominierung des anfangs von Teilen des Gremiums favorisierten Schriftstellers Hermann Stehr (1864–1940) kein Konsens zu erzielen war.1
Alfons Paquet, vorschlagsberechtigter Kuratoriumssekretär, sandte am 21. Mai eine entsprechende Mitteilung an den Frankfurter Oberbürgermeister, in der er einen Einspruch gegen die Nominierung Stehrs ankündigte. Stattdessen ergreift Paquet Partei für Ziegler, bei dem es sich seiner Meinung nach „um einen Schriftsteller von Format handelt, der unserer Zeit etwas zu sagen hat, eine Neuformulierung des alten, sakralen, europäisch gemeinten Reichsgedankens, eine große Schau über die bewegenden geistigen Kräfte der Weltentwicklung.“
Allerdings, so gesteht der Kuratoriumssekretär ein, habe er einen „einzigen, allerdings schwerwiegenden Einwand gegen Ziegler, daß er bei aller seiner Klugheit und seinem enormen Wissen letzten Endes reaktionär ist, daß er auf alte Institutionen zurückgreift, statt konsequent, auf dem Boden des Alten, die Grundlagen einer Ideologie zu zeichnen, die die religiöse, soziale, wissenschaftliche Krisis unserer Zeit bejaht und das aus ihr sich hervorringende Neue ahnen lässt.“ Als eine an eine „westliche Mission“ gebundene Großstadt und tausendjährige freie Reichsstadt könne Frankfurt Ziegler als einem „durch seine schöpferische Neugestaltung richtungweisender Ideen zu geistigem Führertum berufenen Denker“ und als Verfasser der Bücher „Gestaltenwandel der Götter“ und insbesondere „Das Heilige Reich der Deutschen“ ehren.2
Ziegler versteht unter dem „heiligen Reich“ dabei keinen säkularen Staat im Bismarckschen Sinne, sondern eine Idee zur harmonischen Verbindung von Reich, Kirche und Staat, die er auf den Gottesstaat des Augustinus (De civitate Die) und auf das literarische Schaffen und kulturphilosophische Denken der deutschen Romantik und der Weimarer Klassik zurückführt.
(KU)


  1. Neben Hermann Stehr werden im Laufe der Entscheidungsfindung noch verschiedene andere Kandidiaten vorgeschlagen, darunter auch Sigmund Freud und Ricarda Huch die in den beiden folgenden Jahren mit dem Goethepreis geehrt werden. Stehr wird – unter völlig anderen Voraussetzungen – 1933 ebenfalls doch noch der Goethepreis zuerkannt. Vgl. Leitgeb, Hanna: Der ausgezeichnete Autor: städtische Literaturpreise und Kulturpolitik in Deutschland 1926–1971 (European cultures; 4), Berlin [u.a.] 1994 (zugl.: Köln, Univ., Diss., 1994), S. 78 f.
  2. In der Ziegler im Rahmen der Feier überreichten Verleihungsurkunde würdigt Paquet stellvertretend für das Kuratorium den Preisträger als geistigen Führer: „Mitten aus der Praxis und den Problemen ihrer zeitbedingten großstädtischen Entwicklung, zugleich aber auch im Bewusstsein ihres in wechselnden geschichtlichen Formen tausendjährig lebendigen Verhältnisses zum Reichsgedanken verleiht die Stadt Frankfurt in diesem Jahre den von ihr gestifteten Goethepreis dem durch seine Ergründung der unsere Zeit auf das Gegensätzlichste bewegenden Fragen und durch seine schöpferische Neugestaltung richtungsweisender Ideen zu geistigem Führertum berufenen Denker, dem durch die Klarheit, Kraft und Wissenschaftlichkeit seiner Sprache ausgezeichneten Verfasser der Bücher „Gestaltwandel der Götter“ und „Das heilige Reich der Deutschen“ Leopold Ziegler aus Karlsruhe in der Absicht, durch die Hervorhebung seines kühnen und über die Fachgebiete der Philosophie hinausragenden Gesamtwerkes auf die Bedeutung einer den großen Werten europäischer Geisteserbschaft zugewandten, lebensnahen Haltung hinzuweisen und hohe Bestrebungen zu fördern die auf die Prägung eines Zeitalters sichtbarer Erneuerung gerichtet sind.“ Zitiert nach Seng, Thomas: Weltanschauung als verlegerische Aufgabe: der Otto-Reichl-Verlag 1909–1954 ; mit einer Bibliographie der Verlage von Otto Reichl und der Deutschen Bibliothek (zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1993 u. d. T.: Seng, Thomas: Der Otto-Reichl-Verlag), St. Goar 1994, S. 249 f.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Der Philosoph Leopold Ziegler erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt, 28. August 1929“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4785> (Stand: 30.9.2020)
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