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Aufführung des Büchner-Dramas „Woyzeck“ in Darmstadt, 24. September 1919

Mit der Aufführung einer von Schauspieldirektor Willy Löhr (1873–1940) inszenierten Fassung des Dramas „Wozzeck“ („Woyzeck“) durch das Hessische Landestheater kommt zum ersten Mal ein Theaterstück des aus Goddelau stammenden Vormärz-Dichters und Revolutionärs Georg Büchner (1813–1837) auch in Darmstadt auf die Bühne. Das Landestheater ist damit nach dem Theater in Meiningen (im Freistaat Sachsen-Meiningen) das zweite ehemalige Hoftheater, das kurz nach der Novemberrevolution und dem Ende der Monarchie das revolutionäre Dramen-Fragment in seinen Spielplan aufnimmt.

Der Schriftsteller (und spätere Büchner-Preis-Träger) Kasimir Edschmid (1890–1966) hatte kurz nach der Revolution kritisiert, dass sich das Darmstädter Hoftheater „erfrecht“ habe, Büchner, „das revolutionärste deutsche Genie“ nie gespielt zu haben.1

In der Presse wird die Premiere des Stückes vom linksorientierten „Hessischen Volksfreund“ überschwänglich begrüßt: „Darmstadts größter Sohn hält endlich, endlich Einzug in seine Vaterstadt“, mit einem Werk, dem „ein Pulsschlag von letzter Größe“ zuzuschreiben sei, „wie ihn höchstens Shakespeare noch schuf“. Weniger euphorisch äußert sich dagegen das eher konservativ ausgerichtete „Darmstädter Tageblatt“: „In dem Trauerspiel bekundet sich ein starker Geist und eine riesige dramatische Kraft, aber es ist doch, und das hätte im Interesse des Dichters nicht unerwähnt bleiben sollen, kein ausgereiftes Werk. […] Der Dichter will – so heißt es – in dem Schicksal des Wozzeck das Elend der Unterdrückten, oder, wie man sagt, des vierten Standes schildern, das nach Befreiung und Rache schreit, und in diesem Sinne war das Stück zu seiner Zeit wohl ein Revolutionsdrama, obwohl es an der Verallgemeinerung des persönlichen Schicksals gänzlich fehlt.“2

Acht Tage zuvor war in Frankfurt am Main erstmalig eine weitere „Woyzeck“-Fassung von Arthur Hellmer (1880–1961) in dem von ihm mitbegründeten Neuen Theater in der Mainzer Landstraße zu sehen.

Löhrs Interpretation von Büchners Dramen-Fragment wird in Darmstadt zunächst insgesamt viermal gezeigt. Abgesehen von einer in der Spielzeit 1930/31 inszenierten Aufführung der „Wozzeck“-Oper von Alban Berg (1885–1935) ist der „Woyzeck“ dort jedoch erst wieder 1954 in einer Fassung von Gustav Rudolf Sellner (1905–1990) zu sehen.
(KU)


  1. Zitiert nach Wolfram Viehweg, Georg Büchners „Woyzeck“ auf dem deutschsprachigen Theater, Teil 2, Bd. 1, Norderstedt 2008, S. 31.
  2. Zitiert nach ebd.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Aufführung des Büchner-Dramas „Woyzeck“ in Darmstadt, 24. September 1919“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/515> (Stand: 24.9.2022)
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