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Erste Bücherverbrennung „undeutscher Literatur“ in Gießen, 8. Mai 1933

In der Universitätsstadt Gießen verbrennen mit dem nationalsozialistischen Regime sympathisierende Hochschulangehörige öffentlich Werke der von ihnen verfemten Autoren sowie sozialdemokratische und kommunistische Zeitungen. Die Verbrennung „zersetzenden Schrifttums“ ist Höhepunkt eines Aufmarschs der Gießener Korporationen und NS-Studenten.1 Vorangegangen war eine propagandistische Kundgebung in der Volkshalle (an der Grünberger Straße). Angeregt wurde die Aktion, an der überwiegend Studenten, Professoren und Mitglieder der NS-Parteiorgane beteiligt sind, durch eine Kampagne der Deutschen Studentenschaft (DSt), einem seit 1919 existierenden Zusammenschluss der Allgemeinen Studentenausschüsse der deutschen Hochschulen. Die seit 1931 von einem Vertreter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) geführte DSt hatte Anfang April ihre Verbandsorgane und Mitglieder dazu aufgerufen, sich an einer vierwöchigen „Aktion wider den undeutschen Geist“ zu beteiligen, die sich nach dem Willen der Initiatoren gegen den „jüdischen Zersetzungsgeist“ richtet, der „bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat“ und „aus diesem ausgemerzt werden“ soll. Dabei haben Studierende und andere Hochschulangehörige als „verbrennungswürdig“ erachtete Literatur in Bibliotheken und Buchhandlungen nach eigens für diesen Zweck angefertigten „Schwarzen Listen“ gesammelt.

„Schwarze Listen“ zur Sammlung „verbrennungswürdiger Literatur“

Grundlage für die „Schwarzen Listen“ ist ein seit längerem existierendes Verzeichnis des Berliner Bibliothekars Wolfgang Herrmann. Es enthält Werke, die von völkisch und reaktionär-nationalistisch orientierten Kreisen als „Schrifttum des Marxismus und Kommunismus“ und „volksentfremdetes Großstadtliteratentum“ diskreditiert werden, die die „sittlichen und religiösen Grundlagen“ des „deutschen Volksempfindens“ untergraben, die parlamentarische Republik von Weimar „verherrlichen“, die an den Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beteiligten deutschen Frontsoldaten „in den Schmutz“ ziehen oder „das berechtigte Empfinden nationaler Kreise“ verletzen. Als Höhepunkt der am 12. April begonnenen Kampagne sind für den 10. Mai spektakulär inszenierte öffentliche Bücherverbrennungen geplant, die am heutigen Tag in Gießen bereits zwei Tage vor dem allgemein angesetzten Planungsdatum stattfindet. Es ist die erste in einer Reihe von Bücherverbrennungen, die am 10. Mai auf dem Opernplatz in Berlin und im Mai und Juni außerdem in 20 anderen deutschen Universitätsstädten stattfinden.
(KU)


  1. Vgl. Peter Chroust, Die bürokratische Verfolgung. Doktorgradentziehungen an der Universität Gießen 1933–1945 im Kontext der nationalsozialistischen Verfolgungspolitk, Gießen 2006, S. 12.
Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Klassifikation
7940, Hochschule · 4070, Politische Verfolgung
Hebis-Schlagwort
Justus-Liebig-Universität Gießen ; Gießen, Universität ; Nationalsozialismus ; Geschichte 1933-1945
Empfohlene Zitierweise
„Erste Bücherverbrennung „undeutscher Literatur“ in Gießen, 8. Mai 1933“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2074> (Stand: 8.5.2023)
Ereignisse im April 1933 | Mai 1933 | Juni 1933
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