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Berthold Simonsohn stirbt in Frankfurt, 8. Januar 1978

In Frankfurt am Main stirbt der Jurist, Sozialpädagoge und frühere Leiter der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland Berthold Simonsohn.

Engagement im Widerstand, Inhaftierung und Deportation

Der am 24. April 1912 in Bernburg (Saale) geborene Simonsohn studierte von 1929 bis 1934 Jura und Staatswissenschaften an den Universitäten Halle an der Saale und Leipzig. Er engagierte sich bereits vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten als Mitglied der SAPD im antifaschistischen Widerstand und wurde Ende 1933 unter dem Verdacht des Hochverrats erstmals von den Nazis verhaftet. Ab 1938 arbeitete er als Bezirksfürsorger der 1917 zur Koordination der sozialen Einrichtungen und Wohlfahrtsorganisationen der jüdischen Gemeinschaft gegründeten Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden in Stettin. Nach den Novemberpogromen im Jahr 1938 wurde Simonsohn in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. Von dort kam er wieder frei, doch deportierte man ihn im Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Dort lernte er seine zukünftige Ehefrau Trude Gutmann (1921–2022) kennen, die er vor seiner weiteren, im Oktober 1942 erfolgten Deportation in die Konzentrationslager Auschwitz und Kaufering III bei Augsburg (einem Außenlager des KZ Dachau) zunächst rituell, und 1949 standesamtlich heiratete.1

Tragende Rolle bei der Wiedererrichtung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden

Nach dem Krieg war Simonsohn eine der tragenden Kräfte bei der Wiedererrichtung der Zentralwohlfahrtsstelle (unter der neuen Bezeichnung „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“, kurz: ZWST) im Jahre 1951. Ihre Aufgabe sah die ZWST in erster Linie darin, die existenzielle Not der Holocaust-Überlebenden zu lindern und operierte anfangs als buchstäblicher „Ein-Mann-Betrieb“. Berthold Simonsohn wurde von der Mitgliederversammlung des Zentralrats der Juden in Deutschland mit der erneuten Gründung der ZWST beauftragt und stand dieser Einrichtung als erster Geschäftsführer und Leiter bis Jahresende 1961 vor.

Mitwirkung an der Reform des Jugend- und Jugendstrafrechts

1962 erhielt Simonsohn einen Ruf als Professor für Sozialpädagogik und Jugendrecht an die Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo er seit 1955 zusammen mit seiner Ehefrau Trude lebte. Als Hochschullehrer und Wissenschaftler (ab 1962 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zunächst als außerordentlicher Professor, seit 1969 als ordentlicher Professor) befasste er sich besonders mit Fragen der Reform des Jugendrechts, für die er als Mitverfasser einer Denkschrift der Arbeiterwohlfahrt „Vorschläge für ein erweitertes Jugendhilferecht“ (Bonn 1970) wichtige Impulse gab. Simonsohn galt als Fachmann für Jugendkriminalität, Jugend-Strafjustiz und Fragen der Resozialisierung. 1976 berief man ihn in die „Kommission des Bundesjustizministeriums zur Reform des Jugendstrafvollzugs“. Dort wirkte er entscheidend an der Gestaltung der Gesetzesreform mit. 1977 wurde Simonsohn emeritiert.

Berthold Simonsohn zählte zu einem kleinen Kreis von Personen, die als Intellektuelle und Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Impulse zur Wiedererrichtung jüdischer Gemeinden und eines jüdischen Kulturlebens in Deutschland leisteten.

Simonsohn war Mitbegründer und Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität Jerusalem“. Diese errichtet 1980 eine „Simonsohn-Gedächtnis-Stiftung“ zur Vergabe von Stipendien an Studenten des Martin-Buber-Zentrums für Erwachsenenbildung. Die Stiftung verfolgt das Ziel, mit ihrer Arbeit das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Arabern zu fördern.
(KU)


  1. Trude Simonsohn arbeitete nach dem Gang des Ehepaares nach Frankfurt am Main zu Mitte der 1950er Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde der Stadt und befasste sich dort mit Fragen der Sozialarbeit und Erziehungsberatung. Von 1989 bis 2001 war sie Vorsitzende des jüdischen Gemeinderats in der Mainmetropole. In Zusammenhang mit ihrem Engagement als Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende wurde sie seit Mitte der 1970er Jahre zu einer der wichtigsten öffentlich für die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden in Erscheinung tretenden Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Trude Simonsohn erhielt ab Anfang der 1990er Jahre für ihr Wirken zahlreiche Auszeichnungen und Preise, so 1993 die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main. 1996 die Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen, 2010 den Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung und 2013 den Erasmus-Kittler-Preis der HSE-Stiftung in Darmstadt.
Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Schlagwort
Simonsohn, Berthold ; f Biographie
Empfohlene Zitierweise
„Berthold Simonsohn stirbt in Frankfurt, 8. Januar 1978“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5202> (Stand: 8.1.2023)
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