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Geheimer Bericht über die Stimmung der Bevölkerung zu den Luftangriffen, 1. Juni 1944

Der Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zu Inlandsfragen vom 1. Juli 1944 fasst die Meldungen über die Entwicklung in der öffentlichen Meinungsbildung zusammen. Dabei steht die Wirkung der alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte im Vordergrund:
Hinsichtlich des Luftkrieges geraten die Volksgenossen immer mehr in eine nervöse Angst. Die „Rennerei um das Leben“ habe weite Kreise ergriffen. … Es sei sehr deprimierend, daß sowohl Jagd- und Bomberverbände wie Einzelflugzeuge sich stundenlang über dem Reichsgebiet aufhalten, ohne daß sie merklich daran gehindert würden. „Wann wird diese schreckliche Plage endlich einmal ein Ende nehmen?“ sei die „ewige Frage“ in zahllosen Erörterungen über den Krieg, „die Qualität unserer Luftwaffe ist von der Masse des Feindes erdrückt worden. Die Produktion unserer Gegner ist so groß, daß wir ganz einfach nicht mehr mitkönnen“, so oder ähnlich lege man sich eine Erklärung zurecht.

Die fortgesetzten Angriffe hätten jetzt, so wird berichtet, verstärkt Auswirkungen auf die Landbevölkerung: Die Angst vor der weiteren Verschärfung des Luftterrors, wie sie sich in Angriffen auf Züge, Einzelpersonen, Ausflügler und Landgemeinden ankündige, treibe viele evakuierte Frauen und Kinder zur Rückkehr in die Stadt. Man fühle sich auf dem Lande bei dem Mangel an bombensicheren Unterkünften weniger sicher als in der luftbedrohten Stadt (z. B. Frankfurt/M., Klagenfurt). Dazu komme, daß die Landbevölkerung durch die Abschaffung des Fliegeralarms auf dem Lande stark beunruhigt ist. Man könne beobachten, daß Feldarbeiter Fliegerdeckung nehmen, sobald sie ein Flugzeug sehen, weil sie eigene und feindliche Flugzeuge nicht unterscheiden können. Ernste Befürchtungen hegten die Bauern um ihre Zugtiere und die Bergung der Ernte. Die Landfrauen seien um ihre Kinder besorgt, die während ihrer Feldarbeit allein zu Hause seien und auf der Straße spielen, ohne durch ein Alarmsignal gewarnt zu werden. Auch die Gefolgschaften der Industriebetriebe protestierten heftig gegen die Anordnung, daß sie während des Alarms auf dem Werksgelände bleiben sollen, wo die Luftschutzmöglichkeiten oft gänzlich unzureichend seien.

Angesichts der ständigen Angriffe und der dadurch erkennbaren Überlegenheit der alliierten Luftstreitkräfte, so stellt der Bericht fest, sind Berichte in den Zeitungen, die einer zunehmenden Stärke der eigenen Luftwaffe oder wachsenden Erfolgen in der Flugabwehr inzwischen vielfach nicht mehr glaubhaft. Aus Furcht vor weiteren Luftangriffen wehre man sich in luftbedrohten Städten gegen Presseveröffentlichungen, die darauf hinweisen, daß trotz der angerichteten Zerstörungen das Leben wieder pulsiere, oder daß die Rüstungsindustrie durch ihre Verlagerung auf Klein- und Kleinstbetriebe in ihrem Kern nicht getroffen worden sei. Man stelle damit dem Feinde geradezu einen Freibrief für seine Angriffe auf Wohnviertel und das flache Land aus (z. B. Frankfurt/M., Stettin u. a. „So lebt Frankfurt“, „Rhein-Mainische Zeitung“ vom 25.5.1944).
(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Geheimer Bericht über die Stimmung der Bevölkerung zu den Luftangriffen, 1. Juni 1944“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4694> (Stand: 30.9.2020)
Ereignisse im Mai 1944 | Juni 1944 | Juli 1944
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