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Verleihung des Goethepreises an Hermann Stehr, 28. August 1933

Der aus Habelschwerdt in Schlesien (Grafschaft Glatz) stammende deutsche Schriftsteller Hermann Stehr (1864–1940) erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. Der im März als Nachfolger des von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten Ludwig Landmann (1868–1945) angetretene NSDAP-Oberbürgermeister Friedrich Krebs (1894–1961) würdigt den Schriftsteller bei der Preisverleihung: „Er [der Goethepreis] gilt dem ahnungsvollen Deuter der Gewalten, die alles irdische Geschehen von Höhen und Tiefen her bewegen. Es liegt aber auch in diesem Preis das Bekenntnis zu einem mannhaften, unermüdlichen Kämpfer im Geiste.“

Hermann Stehr war in der Gründungsphase der Weimarer Republik als Wahlredner der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) für seinen Freund Walther Rathenau (1867–1922) aufgetreten. In der weltanschaulichen und politischen Haltung Stehrs und in seinem literarischen Schaffen tritt um 1931/32 jedoch eine Wandlung ein: nachdem der Autor während der 1920er Jahre durchaus die Bereitschaft erkennen ließ, das System von Weimar zu unterstützen und sich an einem demokratischen Gemeinwesen zu beteiligen, wendet er sich Anfang der 1930er Jahre zunehmend konservativ-nationalen und rechtsgerichteten Dichterkreisen zu, die sich gegen die Verbreitung „importierten“ „wesenfremden“ Schriftgutes in Deutschland engagieren (und nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten im Literaturbetrieb des Dritten Reiches eine tonangebende Rolle spielen). So gehörte Stehr im März 1933 zu den ersten der 27 befragten Mitglieder der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, die einer vom Regime geforderte Erklärung zustimmten, sich „unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage“ weiterhin diesem Gremium zur Verfügung zu stellen. Damit profitieren Stehr und seine NS-loyalen Freunde insbesondere von der Ausschaltung sozialistischer und jüdischer Künstlerkollegen und können die von unerwünschten Persönlichkeiten „gesäuberte“ Akademie für ihre eigene Zwecke nutzen.

Stehr verkörpert mit seinem ab Ende der 1890er Jahre bis 1905 entstandenen Frühwerk eine individuelle Spielart des Impressionismus, die den „Naturalismus des Innenlebens“ stofflich mit Themen der Heimatkunstbewegung (Ludwig Ganghofer, Hermann Löns) verknüpft und damit als Beitrag zu einer der wichtigsten Strömungen der antimodernistisch-kleinbürgerlichen „Völkisch-nationalen“ Literatur (etwa 1890–1945) zu zählen ist. Zentrales Motiv bei Stehr ist dabei die Flucht in realitätsfremde Themen und eine Hinwendung zum Mystischen – stoffliche Merkmale, die auch die Werke seiner neuromantischen (ab 1909) und „völkischen“ (ab 1926) Phase prägen. Die von Stehr vertretene Schule einer im Überwirklichen fußenden Zurückgezogenheit ins Innerliche („Eskapismus“) muss deutlich von der „inneren Emigration“ zahlreicher nach 1933 nicht aus Deutschland emigrierter Schriftsteller unterschieden werden.
(KU)

Weiterführende Informationen
Hebis-Schlagwort
Stehr, Hermann
Empfohlene Zitierweise
„Verleihung des Goethepreises an Hermann Stehr, 28. August 1933“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4786> (Stand: 23.7.2021)
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