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Frankfurter Goethepreis an Hermann Stegemann, 28. August 1935

Den diesjährigen Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main erhält der in der Schweiz lebende Journalist und Schriftsteller Hermann Stegemann (1870–1945). Der in Koblenz geborene Stegemann war vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen angestellt. Seinen politischen Ansichten nach war er zu dieser Zeit dem linksliberalen Spektrum zuzuordnen. Während des Krieges betätigte er sich als Mitarbeiter der Zeitung „Der Bund“, beschäftigte sich dort hauptsächlich mit Militärfragen und publizierte die international beachtete Artikelserie „Zur Kriegslage“, die er nach Kriegsende in seinem Hauptwerk „Geschichte des Krieges“ (4 Bände, erschienen 1917–1921) zusammenfasste. Ferner veröffentlichte Stegemann (teils unter dem Pseudonym „Hermann Sentier“) Romane, Novellen und Dramen.1 Seine nach Kriegsende zunehmend deutschnational ausgerichtete Gesinnung schlug sich ab der ersten Hälfte der 1920er Jahre deutlich in seiner publizistischen Tätigkeit nieder („Der Kampf um den Rhein“ 1924). Stegemann setzte er sich für eine Revision des Versailler Vertrags ein und begrüßte später die Machtübernahme der Nationalsozialisten („Weltwende“ 1934).

„Gleichschaltung“ des Auswahlgremiums: vom Kuratorium zum „Verwaltungsrat“

Das Vorgehen im Entscheidungsfindungsprozess zur Preisvergabe entfernt sich im Zuge der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ des Kulturlebens nach der „Machtübernahme“ zunehmend von den seit 1927 bestehenden (revidierten) Satzungsvorgaben. Die Auswahl und Nominierung der Preisträger wird mehr und mehr alleinigen Sache zwischen den NSDAP-Mitgliedern Oberbürgermeister Friedrich Krebs (1894–1961; 1933 – zunächst kommissarisch – für den von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten Ludwig Landmann (1868–1945) eingesetzt) und Friedrich Bethge (1891–1963; seit Juni 1933 Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant der Städtischen Bühnen) sowie Stadtrat Rudolf Keller (1878–1960; Schuldezernent und Leiter des Kulturamts), während die übrigen Kuratoriumsmitglieder (als sogenannter Vertrauensrat) zur „bedingungslosen Zustimmung“ angehalten werden, und damit nicht mehr als eine demokratische Alibi-Funktion erfüllen. Die von Bethge bereits mehrfach angeregte Aufnahme des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda und Leiters der Reichskulturkammer Dr. Joseph Goebbels (1897–1945) findet gegen Ende 1934 die Zustimmung von Oberbürgermeister Krebs. Im selben Zug kommt es zur Umbildung des bisherigen Kuratoriums in einen „Verwaltungsrat“, aus dem der Vertreter der Dichterakademie und der Direktor des Weimarer Goethehauses ausgeschlossen werden, nachdem bereits im Vorfeld seit 1933 rassistisch oder politisch begründete Umbesetzungen die schleichende Entdemokratisierung des Goethepreis-Kuratoriums eingeleitet hatten. Hermann Stegemann wird damit zum ersten Preisträger, dessen Nominierung durch den vollständig „gleichgeschalteten“ „Verwaltungsrat“ erfolgt, der sich ab Ende 1934 wie folgt zusammensetzt: (1.) Oberbürgermeister Krebs, (2.) der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust (1883–1945), (3.) der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels, (4.) der Leiter des Kulturamtes der Stadt Frankfurt Rudolf Keller, (5.) Prof. Dr. Julius Petersen (1878–1941) von der Goethe-Gesellschaft in Weimar, (6.) der Direktor des Goethe-Museums in Frankfurt Prof. Dr. Ernst Beutler (1885–1960), die Professoren (7.) Franz Schultz (1877–1950) und (8.) Julius Schwietering (1884–1962) von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, (9.) der Generalintendant der Städtischen Bühnen Hans Meissner (1896–1958) und (10.) Friedrich Bethge als Geschäftsführer des „Verwaltungsrates“.
(KU)


  1. In historischen Prosawerken wie „Jacobäa“ (1928) und „Die letzten Tage des Marschalls von Sachsen“ (1930) sowie in zeitkritischen Schicksalsromanen „Theresie“ (1911), „Thomas Ringwald“ (1912) und „Wandlung“ (1927) stellte Stegemann teils noch vor Kriegsausbruch „den politischen und sozialen Konflikten seiner Zeit die gewachsene Ordnung der Heimat und die Werte bäuerlich-bürgerlicher Tradition entgegen.“
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Frankfurter Goethepreis an Hermann Stegemann, 28. August 1935“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2471> (Stand: 13.3.2021)
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