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Schwerer Störfall im Atomkraftwerk Biblis wird verheimlicht, 16. - 17. Dezember 1987

In der südhessischen Gemeinde Biblis ereignet sich im dortigen Atomkraftwerk durch „menschliches Versagen“ ein schwerer Störfall, der erst nach einem Jahr durch ein US-Magazin bekannt wird.

Die aus zwei Druckwasserreaktoren („Biblis A“ und „Biblis B“) bestehende, 1974 erstmals in Betrieb gegangene Anlage, die für die Dauer von zwei Tagen zur Durchführung von Reparaturarbeiten stillgelegt wurde, wird in der Mittagszeit des 16. Dezember erneut in Betrieb genommen. Beim Wiederanfahren des Reaktors interpretiert jedoch die diensthabende Schichtmannschaft eine Fehlermeldung über ein offenstehendes Ventil im Nachkühlkreislauf falsch.1 Trotz der fehlenden Entwarnung im Kontrollsystem ignoriert auch die nächste Schichtmannschaft die Fehlfunktion, die beim Volllastbetrieb des Reaktors eine erhebliche Gefahr darstellt. Erst die dritte Schicht registriert am Donnerstagmorgen gegen drei Uhr früh den Fehler und versucht unvorschriftsmäßig das geöffnete Ventil durch kurzzeitiges Öffnen eines zweiten Sicherheitsventils zu entlasten um zum Schließen zu bewegen. Dieses Vorhaben misslingt und durch das defekte Ventil kommt es zur Freisetzung von etwa 150 Litern radioaktiven Wassers in den Ringraum, der zwischen Druckbehälter und Stahlmantel der Anlage liegt. Im Anschluss an den Zwischenfall verzichten alle in Kenntnis stehenden Stellen darauf, die Öffentlichkeit von den Geschehnissen und der potenziell erheblichen Gefährdung zu unterrichten, die durch die Fehlfunktion und die falschen Reaktionen der Kraftwerksmitarbeiter entstanden ist. Erst die Recherchen von Mitarbeitern des amerikanischen Fachmagazins „Nucleonics Week“ fördern zu Tage, daß die Reaktorfahrer von Biblis genau jene Art von Leck riskiert hatten, von der es in der schon 1975 erstellten großen Reaktorsicherheitsstudie der US-Atombehörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) hieß, daß das betroffene System „wegen des Überdrucks versagen“ könnte, „was die Kernschmelze und den Austritt von Radioaktivität außerhalb des Containments auslösen würde“2.


  1. Das betreffende Ventil ist Teil des Notkühlsystems des Reaktors und wird bei Stilllegung des Meilers mit einem Elektromotor geöffnet, um überschüssige Wärme mit Hilfe des Notkühlsystems abzuführen. Der geöffnete Zustand des Ventils wird in der Kontrollzentrale des Atomkraftwerks durch ein aufleuchtendes rotes Lämpchen angezeigt.
  2. DER SPIEGEL 50/1988, S. 91.
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Schwerer Störfall im Atomkraftwerk Biblis wird verheimlicht, 16. - 17. Dezember 1987“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1545> (Stand: 26.11.2022)
Ereignisse im November 1987 | Dezember 1987 | Januar 1988
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