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Erste Gefangene im Kriegsgefangenenlager Gießen, 30. Oktober 1914

Ab Oktober 1914 werden in Gießen Baracken zur Unterbringung von Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs errichtet.1 Über die Errichtung des Gefangenenlagers berichtet die Hessische Volkszeitung am 10. Oktober 1914: „Für das Gefangenen-Lager auf dem Trieb werden große Hallen und Baracken errichtet, die letzteren zum großen Teil in Fachwerk ausgeführt. Wann die Gefangenen eintreffen sollen, darüber verlautet noch nichts.2 Kurz darauf werden die ersten Gefangenen, vor allem Franzosen und Briten, in Gießen interniert. Im Laufe des Krieges sind im Gießener Lager bis zu 26.000 Kriegsgefangene untergebracht.3

Den Bewohnern Gießens wird ein Betreten und sogar eine Annäherung an das Gefangenenlager untersagt4, zudem wird es Zivilpersonen verboten, Briefe von Gefangenen anzunehmen oder an diese zu übergeben5 Nichtsdestotrotz hegen die Gießener großes Interesse am Gefangenenlager, der Gießener Anzeiger beschreibt „lebhaften Verkehr (...) vom und zum Gefangenenlager.6. Zudem kommt die Bevölkerung mit den Kriegsgefangenen vor allem dann in Kontakt, wenn diese Kriegsarbeiten verrichten sollen. Die Verordnung zur „Bestellung von Kriegsgefangenen“ für Gießener Landwirte wird im Januar 1916 im Kreisblatt für Gießen abgedruckt und verweist auf die Vorlage eines Nachweises der dringlichen Notwendigkeit einer oder mehrerer Arbeitskräfte aus dem Gefangenenlager. Die Gefangenen werden innerhalb des Lagers ausgewählt und können im ihnen zugeteilten Arbeitsbereich ohne militärische Bewachung arbeiten, wobei die Verpflegung und Unterkunft in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt. Dieser hat außerdem eine Vergütung von 30 Pfennig pro Arbeitstag zu bezahlen.7

Über die Lebensbedingungen und Zustände innerhalb des Gefangenenlagers berichtet die hessische Tagespresse nicht. Grundsätzlich unterliegt die Behandlung der Kriegsgefangenen auch im Gießener Lager der Haager Landkriegsordnung von 1899, in welcher die Kriegsgefangenschaft als „reiner Sicherheitsgewahrsam feindlicher Militärangehöriger, deren Zweck ausschließlich darin bestehen soll, den entwaffneten Kriegsgegner dauerhaft an der Wiederaufnahme des Kampfes zu hindern8 definiert wird. Gemäß des Abkommens sind Kriegsgefangene nicht als Feinde, sondern „mit Menschlichkeit9 zu behandeln. Verstöße gegen das Haager Abkommen sind jedoch in der Umsetzung keine Seltenheit und reichen von Post- und Nahrungsentzug bis zur Einrichtung spezieller Straf-Arbeitslager.10 Berichte aus dem Gießener Kriegsgefangenenlager vermitteln ein gemischtes Bild der Zustände und Lebensbedingungen dort, sie scheinen oft vom jeweils zuständigen Lageroffizier abzuhängen, der über Strafmaß und Umgang mit den Gefangenen entscheidet.11 Allerdings unterscheidet sich der Umgang mit den Kriegsgefangenen in Gießen deutlich von dem mit den Kriegsgefangenen im nahegelegenen Wetzlar. Hier wird im laufe des Krieges ein Gefangenenlager für ukrainische Kriegsgefangene eingerichtet, die deutlich bevorzugt werden und viele Privilegien wie Bildungsinitiativen und Unterhaltungsmöglichkeiten genießen.12
(NT)


  1. Brake/Ehlers/Thimm, Gefangen im Krieg. Gießen 1914–1919, Marburg 2014, S. 391.
  2. Oberhessische Volkszeitung, 10.10.1914: Für das Gefangenen-Lager.
  3. Brake/Ehlers/Thimm, Gefangen im Krieg. Gießen 1914–1919, Marburg 2014, S. 393.
  4. Gießener Anzeiger, 8.10.1914: Bekanntmachung.
  5. Kreisblatt für den Kreis Gießen, 9.3.1915, S. 2: Verordnung.
  6. Brake/Ehlers/Thimm, Gefangen im Krieg. Gießen 1914–1919, Marburg 2014, S. 394.
  7. Kreisblatt für den Kreis Gießen, 25.1.1916, S. 4: Die Bestellung von Kriegsgefangenen zur Arbeit.
  8. Hirschfeld, Gerhard/ Gerd Krumeich/ Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S. 642.
  9. Hirschfeld, Gerhard/ Gerd Krumeich/ Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S. 642.
  10. Hirschfeld, Gerhard/ Gerd Krumeich/ Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S. 642.
  11. Brake/Ehlers/Thimm, Gefangen im Krieg. Gießen 1914–1919, Marburg 2014, S. 404.
  12. Jung, Irene/Wolfgang Wiedl, Zwischen Propaganda und Alltagsnot. Wetzlar und der Erste Weltkrieg 1914–1918, Neustadt an der Aisch 2016, S. 264 f.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Erste Gefangene im Kriegsgefangenenlager Gießen, 30. Oktober 1914“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5487> (Stand: 30.10.2021)
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